Irene von Alberti ist schon seit mehr als 20 Jahren im Filmgeschäft, vor allem als Produzentin, aber auch als Regisseurin und Drehbuchautorin. Ihr neuer Film Die geschützten Männer (Kinostart: 12. Dezember 2024) basiert auf dem gleichnamigen Roman von Robert Merle und ist eine herrlich überdrehte Satire über den Geschlechterkampf. Die Geschichte spielt in einem fiktiven, aber doch vertrauten Deutschland kurz vor der Bundestagswahl. Anita (Britta Hammelstein) und Sarah (Mavie Hörbiger) wollen mit ihrer Frauenpartei wieder über die Fünf-Prozent-Hürde kommen. Der chauvinistische Kanzler (Godehard Giese) gibt sich ebenfalls siegesgewiss. Da weiß er allerdings noch nicht, dass ein tödliches Virus in kürzester Zeit schon elf Männer dahingerafft hat. Der neuartige Erreger befällt ausschließlich Testosteron-gesteuerte Wesen und tötet bald auch den lüsternen Regierungschef. Im allgemeinen Tumult reißt die Frauenpartei die Macht an sich und zieht ins Kanzleramt ein. Mit Regisseurin und Drehbuchautorin Irene von Alberti sprachen wir auf dem Filmfest München, wo die Satire Premiere feierte, über die Umdeutung des Romans, über die Bedeutung von Kostüm und Maske und über die Schattenseiten der Macht.
Kannten Sie den Roman von Robert Merle schon vor Corona?
Ich hatte ihn Anfang der 1990er Jahre gelesen, als Monika Treut ihn verfilmen wollte und ich als Produzentin involviert gewesen wäre, woraus aber nichts wurde. Der Roman ist vor Corona geschrieben worden, aber auch vor Aids. Das war der Grund, warum wir ihn in den 1990ern nicht verfilmt haben. Eine Komödie über ein Virus wäre zu dieser Zeit zynisch gewesen. Nach „Me too“ fing ich an, mich um die Rechte zu kümmern. Ich hatte gerade mit dem Treatment begonnen, da kam Corona. Nach ein paar Wochen war aber klar, dass die Pandemie eher hilft. Die Leute hatten dadurch viele Informationen, zum Beispiel, was genau ein Virus oder ein Impfstoff ist. Wir wurden in dieser Zeit quasi virologisch ausgebildet. Außerdem steht im Roman das Virus nicht im Mittelpunkt, sondern ist nur Auslöser für die andere Geschichte, dass alte Geschlechterkämpfe ausbrechen durch das absurde und ungebührliche Verhalten der Männer, das vom Virus ausgelöst wird.
Worin bestehen die Unterschiede zwischen Roman und Film?
Das Buch ist ganz verschieden. Ich bediene mich einzelner Elemente, interpretiere sie aber anders. Die Geschichte erzähle ich aus weiblicher Perspektive, lasse sie aber nicht in den 1970er Jahren spielen, weil wir seitdem in Sachen Feminismus und Gleichstellung schon viel weiter gekommen sind. Der Film spielt in der Jetztzeit, aber mir war wichtig, ihn in eine Parallelwelt zu verlegen. Denn er ist eine Satire, die sich zwar an der Gegenwart abarbeitet, sie aber zugleich stark überhöht und überspitzt. Deswegen gibt es einen Bundeskanzler, aber man erkennt kein Berlin. Man hat graue, teure Regierungsgebäude, aber das ist nicht der Bundestag. Alles soll überzogen und übertrieben sein.
Ich habe zwar nicht den Roman, sondern nur dessen Inhaltsangabe gelesen. Aber ich fand erstaunlich, dass das grobe Handlungsgerüst im Film noch vorhanden ist. Welchen anderen Drall haben Sie dem gegeben?
Der Roman spielt in den USA. In ihm wird eine Frau die erste amerikanische Präsidentin. Das war damals der Clou an dem Buch. Trotzdem ist es ein Mann, der die Welt rettet, nämlich der Virologe Ralph Martinelli. Das konnte ich so nicht stehen lassen. Die Frauen müssen die Weltrettung schon selber in die Hand nehmen.
Stand von vornherein fest, dass Sie daraus eine Komödie und Satire machen würden?
Für mich funktioniert die Idee nur als Komödie. Es geht um die Frage, was wäre, wenn den Frauen die Macht quasi in den Schoß fällt. Wenn man die Hypothese weiterdenkt, macht sie großen Spaß. Man kann sich beim Schreiben die unglaubliche Freude dieser Frauen vorstellen, die nun das Kanzleramt besetzen. Jahrzehnte- oder jahrhundertelang haben wir Frauen feministische Kämpfe ausgefochten, und jetzt kommt wie ein Deus ex Machina so ein Virus, und plötzlich geht alles ganz einfach. Da freut man sich erstmal mit. Hinterher kommt dann bei mir allerdings das Aber: Macht kann korrumpieren. Man trifft schlechte Entscheidungen, weil man die eigene Macht erhalten muss. Das ist zwar eher eine männliche Eigenschaft, aber Frauen können das auch.
Ab welchem Zeitpunkt war Ihnen klar, dass man über die Pandemie auch lachen kann?
Ich habe relativ bald gehofft, dass es so kommen wird, spätestens als klar war, dass es einen Impfstoff geben wird. Danach hat es sich noch etwas hingezogen, bis man aufatmen konnte. Aber so lange habe ich auch gebraucht, um das Drehbuch zu schreiben. Als wir drehten, war die Pandemie noch im Gange, wir brauchten regelmäßige Corona-Tests. Das fand ich gar nicht schlecht, denn so war jedem klar, was eine Pandemie eigentlich ist. Wir kannten das bisher ja nur aus Geschichtsbüchern. Viele Filme, die direkt in der Pandemie oder kurz danach entstanden, nutzen den Grusel, der in dem unkontrollierbaren Geschehen steckt. Aber so etwas wollte ich nicht. Bei mir war das nur der Auslöser, obwohl die Folgen des Virus, wenn es ausbricht, wundervoll absurd sind: Den betroffenen Männern wachsen erstmal ganz viel Haare, dann werden sie sexuell übergriffig und sterben aber auch. Es war die Frage, wie oft wir das zeigen wollen. Wir haben uns entschieden, jede dieser Verwandlungen, wie wir sie nannten, etwas anders zu gestalten.
War es schwierig, Gelder für dieses Projekt aufzutreiben?
Wir hatten wahnsinniges Glück mit unseren Redakteurinnen Alexandra Staib vom ZDF und Claudia Tronnier von Arte. Die sind darauf sofort angesprungen, vor allem Alexandra Staib. Ich glaube, sie hat auf einen solchen Stoff gewartet. Jedenfalls hat sie mit einer ungeheuren Energie und Begeisterung unseren Film durchgeboxt. Beide Redakteurinnen haben das Buch über längere Zeit mitentwickelt. Es gab intensive Diskussionen und ich habe einige Änderungsvorschläge aufgegriffen. Denn es ist schwierig, bei einem solchen Stoff den richtigen Ton zu treffen. Man gerät immer wieder an eine Grenze, an der das Ganze umkippen kann, entweder in Richtung Slapstick oder in Richtung schlechter Geschmack. Die Inszenierung darf kein Slapstick sein, sie muss guten Geschmack haben, aber trotzdem lustig sein.
Ich vermute, es war kein Problem, weibliche Darsteller zu finden?
Das war super. Sogar die männlichen Darsteller der Virologen hatten großen Spaß.
Manche Männer haben allerdings eher unangenehme Rollen. Ich denke besonders an Godehard Giese, der als Kanzler eine ganz besondere Arroganz der Macht, gepaart mit Sexbesessenheit, an den Tag legen muss. War es leicht, ihn für diesen Part zu bekommen?
Auf jeden Fall war er sofort interessiert, was mich sehr gefreut hat. Ich mache keine Castings, sondern schaue mir viele Filme mit möglichen Darstellern an. Bei ihm dachte ich sehr früh, dass er toll für die Rolle wäre. Dann trafen wir uns in einem Café um über das Drehbuch zu sprechen. Und natürlich war es uns beiden wichtig zu besprechen, wie die Szene im Buch gedreht werden soll, in der der Kanzler mit erigiertem Glied durchs Kanzleramt rennt und tot umfällt. Also wie echt oder wie komödiantisch übertrieben das dargestellt wird. Es ist extrem wichtig, das vorher genau zu besprechen. Wir haben ganz viel über die Tonalität des Films geredet, auch mit den anderen Darsteller*innen.
Hat die Rolle etwas mit Gerhard Schröder zu tun?
Jeder ist frei, sich dazu seine eigenen Vorstellungen zu machen. Aus unserer Sicht war da ein bisschen Bill Clinton mit drin. Es geht einfach um die Kombination von Macht und Testosteron.
Der Film wirkt sehr frisch und improvisiert. Ist tatsächlich improvisiert worden?
Am Set gar nicht. Mit den Schauspielern habe ich im Vorfeld noch am Dialog gefeilt. Da ging es aber nur um die Sprechbarkeit. Auch mit meinem Kameramann Constantin Campean hatte ich eine genaue Auflösung festgelegt. Nur wenn wir spontan den Drehort geändert haben, mussten wir natürlich improvisieren. Aber die Dialoge sind genauso geschrieben, wie sie gedreht wurden. Ich hatte mal bei einem anderen Film versucht, zu improvisieren. Das funktionierte nicht besonders gut. Wir hatten zwar einen Heidenspaß am Set. Aber beim Schneiden dachte ich, man kann es nur einmal drehen, weil man schon beim zweiten Take anders drauf ist und das dann nicht mehr zusammenpasst.
Schon Ihr Vorgängerfilm Der lange Sommer der Theorie war ein bunter Stilmix. Wussten Sie von daher, wie man das alles zu einem Ganzen fügt? Oder hat es sich erst im Schnitt ergeben?
Der lange Sommer der Theorie war ein Hybrid aus Fiktion und dokumentarischen Elementen, da musste man deutlich machen, was inszeniert ist und was echt. Hier war die Idee, dass Kamera und Schnittmeisterin Patricia Rommel recht klassisch arbeiten, sodass man sich immer in einem Spielfilm fühlt. Ich wollte eine Dramaturgie mit drei Akten und Wendepunkten. Trotzdem sollte es in jeder Szene etwas Besonderes geben, was einen Tick drüber ist. Zum Beispiel das gestickte Krönchen auf der Krawatte des Kanzlers oder eine schräge Ausstattung wie den Flamingostuhl oder das Eisbärfell. Viele Ideen sind von Szenenbildner Sylvester Koziolek. Aber vor allem die Kostümbildnerin Aino Laberenz und die Maskenbildnerin Julia Böhm haben ihrer Kreativität freien Lauf gelassen. Sie haben tolle und witzige Designs geschaffen, die zu den I-Tüpfelchens des Films beitragen.
Sie arbeiten hauptsächlich als Produzentin. Gibt es schon ein neues Regie-Projekt?
Leider bin ich wahnsinnig langsam. Ich kenne andere Leute, die jedes Jahr einen Film drehen. Aber weil ich lange brauche und mir das auch bewusst ist, dauert es einige Zeit, mich für eine Geschichte zu entscheiden. Denn ich weiß, dass ich damit mindestens fünf Jahre meines Lebens verbringe. Tatsächlich habe ich aber jetzt eine Geschichte im Sinn, die wahrscheinlich wieder in Tanger spielen wird, wie schon mein Film Tangerine. Es soll ein spannender Genre-Film werden und etwas schräg, aber vielleicht doch etwas ernster als sonst und keine Komödie. Daran schreibe ich gerade.
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