Otto Total und Ottos Märchenshow haben einiges gemeinsam. So steht bei beiden Produktionen offensichtlich dieselbe Person im Mittelpunkt, außerdem wurden beide im Jahre 2022 bei RTL ausgestrahlt. Weniger offensichtlich ist eine andere Verbindung: Christine Wernke wirkte bei beiden als Autorin mit, zeichnete darüber hinaus für die Regie der MAZen verantwortlich. Das war für die Entscheidungsträger anscheinend Grund genug, ihr die Regie für Mein Name ist Otto anzuvertrauen. Ob das mal nicht eine Fehlentscheidung war, aber der Reihe nach.
Zahlen der Superlative
„NR.1 DER SINGLE-CHARTS“, „50% TV-EINSCHALTQUOTEN UND MEHR“, „50 MILLIONEN KINOZUSCHAUER“ – Mein Name ist Otto wirft dem Zuschauer zu Beginn diese Zahlen in Texteinblendungen an den Kopf, Aufnahmen des splash! Hip-Hop-Festivals unterbrechend, bei dem Otto Waalkes 2023 auftrat. Dass Ganz große Kunst: 75 Meisterwärke die „Nr.1“ der vom SPIEGEL veröffentlichten Paperback-Bestsellerliste für Sachbücher war, hätte da ruhig auch noch erwähnt werden können. Schließlich erscheint „WAHRSCHEINLICHKEIT FÜR DIESE KARRIERE: 0,000001%“, um dieses Intro abzuschließen und ins nächste Segment überzuleiten. Zahlen sind wie Dänen: sie lügen nicht. Genau genommen machen Zahlen überhaupt nichts, es kommt eher darauf an, was mit ihnen gemacht wird.
Wie diese Wahrscheinlichkeit errechnet wurde und ob es sich dabei vielleicht lediglich um eine aus der Luft gegriffene Behauptung, eine anschauliche Überzeichnung handelt, das lässt sich hier nicht feststellen. Unabhängig davon ob diese Aussage nun stimmt oder nicht, ist sie angesichts der Vielfältigkeit des Künstlers und seiner jahrzehntelangen Laufbahn zumindest gefühlt auf jeden Fall wahr. Nach ein paar Archivaufnahmen seiner alten Sketche und den ersten Kommentaren einiger talking heads stellt sich der gebürtige Emder, während er in einer gezeigten Aufnahme auf der Hauptbühne des splash! Festivals steht, anlässlich der zigtausenden, vornehmlich jungen Fans, im Off die Frage: „Wie bin ich eigentlich hierher gekommen?“
Zwiespältiges Vergnügen
Das ist ein überwiegend gelungener Einstieg für Mein Name ist Otto, nach dem uns der Ostfriese in den Emder Stadtteil Transvaal entführt, dem Ort also, an dem er aufgewachsen ist. Wer ab hier eine chronologische Nacherzählung erwartet, wird jedoch schnell eines Besseren belehrt. Insgesamt betrachtet lässt sich in der Dokumentation zwar schon ein roter Faden erkennen, es wird teilweise aber doch etwas willkürlich hin und her gesprungen. Es scheint beinahe, als sollten hier zwei Geschichten mehr oder weniger parallel präsentiert werden. Zum einen zeichnet die Doku Ottos Erfolgsgeschichte nach, zum anderen begleitet sie ihn bei den Vorbereitungen für einen Auftritt. Zweiteres aber auch eher skizzenhaft und alibimäßig. Das kann ja gerne beides gezeigt werden, es erschließt sich jedoch nicht, warum sich für eine Vermischung statt eine traditionelle zeitliche Trennung entschieden wurde. Mein Name ist Otto ist jedenfalls immer dann am besten, wenn Otto Originalschauplätze seiner Vergangenheit besucht, etwas aus dem Off erzählt (was als Stilmittel irgendwann komplett fallen gelassen wird) oder in irgendeiner Art und Weise persönlicher wird. Auch die Wortbeiträge alter Weggefährten geben meist interessante Einblicke.
Aber es gibt eben auch ziemlich schwache Momente. Namentlich meist dann, wenn ein mehr oder weniger unbeteiligter talking head etwas in die Kamera spricht. „Er hat ja dann auch alles Mögliche parodiert, von Thriller über … keine Ahnung, was es damals noch so gab“, resümiert Michael Herbig etwa über Otto – Der Film. Welche Verbindung es zwischen Herbig und Waalkes geben soll, wird überhaupt nicht klar. Abgesehen davon, dass Der Schuh des Manitu sowie (T)Raumschiff Surprise – Periode 1 dank Statistikspielerei offiziell die meistbesuchten deutschen Filme vor Otto – Der Film ist (Zahlen lügen nicht – was man damit macht, ist wieder eine andere Sache; in der Bauchbinde bei einem Ausschnitt des 1985 erschienenen Streifens steht dann immerhin einigermaßen richtig „Erfolgreichster deutschsprachiger Film seit 1945“) ist und Waalkes Teilnehmer in der fünften Staffel des von Herbig moderierten Ablegers der Show LOL: Last One Laughing war (wie die Doku eine Produktion von Amazon Prime), lässt sich hier so auf die Schnelle keine Verbindung zwischen den beiden herstellen. Herbig meldet sich in der Doku mit am häufigsten zu Wort, das hier angeführte Zitat ist aber sein Tiefpunkt. Niemand muss aus dem Kopf wissen, was in Otto – Der Film parodiert wurde, aber wenn man schon aus unerfindlichen Gründen für eine Dokumentation über einen der bekanntesten und beliebtesten Deutschen aller Zeiten interviewt wird, kann man sich ja wenigstens ein bisschen vorbereiten.
Nicht viel Neues
Bei Hape Kerkeling, der nur kurz zu sehen ist, liefert die Doku wenigstens im Interview mit ihm selbst den Grund für seine Anwesenheit. Er gibt im Grunde kurz das wieder, was er bereits in Hape Kerkeling – Total normal erzählt hat, der ARD-Doku anlässlich seines 60. Geburtstags, in der Otto ebenfalls als talking head auftrat: Otto lud Hape zu einem Auftritt bei einer Hamburger Veranstaltung ein, der Hapes Karriere letzten Endes trotz einiger Widrigkeiten gut voranbrachte. In Mein Name ist Otto hat das aber eigentlich nichts zu suchen. Darüber hinaus treten unter anderem Personen auf, die hier ebenfalls komplett fehl am Platze sind. Solche Szenen sind Symptome des Kernproblems der Doku: Das Pacing ist viel zu langsam. Gerade bei Otto, dessen Bühnenprogramm sehr von einem hohen Tempo lebt, ist das ziemlich schade und an der Zielgruppe vorbei produziert.
Letzten Endes wirkt Mein Name ist Otto wie eine verwässerte Version seiner Autobiographie Kleinhirn an alle: Die große Ottobiografie – Nach einer wahren Geschichte. Stellenweise auch eher wie eine Sendung aus dem RTL-Abendprogramm statt wie ein Denkmal für einen der größten deutschen Komiker. Ob Otto-Fans durch die Dokumentation etwas Neues erfahren, hängt hauptsächlich davon ab, ob sie dieses Buch kennen. Was nach dessen Erscheinungsdatum 2018 passiert ist, stand logischerweise nicht drin, nimmt in der Doku aber auch nicht sonderlich viel Platz ein. Auf die von Otto eingangs gestellte Frage wird hier keine Antwort geliefert.
OT: „Mein Name ist Otto“
Land: Deutschland
Jahr: 2024
Regie: Christine Wernke
Musik: Stefan Döring
Kamera: Jörg Hammermeister, Grischa Schmitz, Knut Schmitz
Mitwirkende: Otto Waalkes, Michael Herbig, Udo Lindenberg, Hape Kerkeling, Meltem Kaptan, Jan Delay, Bernd Eilert, Ski Aggu, Joost Klein, Thomas Kukuck, Karl-Friedrich Zürn, Karl-Heinz Waalkes, Justus Spörel, Thomas Trittschanke, Linh Li, Hans-Otto Mertens, Hans-Werner Funke
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