Wenn man an Bruce Lee denkt, hat man sicherlich viele Assoziationen. Da kommen einem Szenen in den Sinn wie das berühmte Finale im Spiegelsaal von Der Mann mit der Todeskralle oder der Kampf gegen Chuck Norris am Ende von Todesgrüße aus Shanghai. Vielleicht geht es auch weiter zurück und man sieht Lee, wie er maskiert als treuer Diener Kato an der Seite der Grünen Hornisse gegen Verbrecher kämpft. Abseits der Filme denkt man eventuell an die unzähligen Fotos oder gar an die Kampfkunst Lees, an der dieser zeit seines Lebens feilte und die für viele Menschen jenseits des Sports zu einer Lebensphilosophie wurde. Bei den blitzschnellen Tritten und Hieben denkt man sicherlich an vieles, aber eine Schildkröte gehört bestimmt nicht dazu.
Ein guter Witz
Doch eben diese Assoziationen hatten die Comicautoren und -zeichner Kevin Eastman und Peter Laird, als sie zu Beginn der 1980er Jahre an Ideen für ihren eigenen Comic saßen. Beide träumten davon einmal so berühmt zu sein wie ihr großes Vorbild Jack Kirby, der gemeinsam mit seinem Kollegen Stan Lee maßgeblich an vielen Geschichten und den berühmten Figuren des Marvel-Universums gearbeitet hatte. Von diesem Ruhm waren die beiden jedoch noch meilenweit entfernt und auch wenn es sehr viele bekannte Underground-Comicmagazine gab, war ein Beitrag bei diesen noch lange nicht Grund genug, um mit Comics seinen Lebensunterhalt zu verdienen. So waren die gemeinsamen Stunden, in denen Laird und Eastman Ideen austauschten und Geschichten für Comics schrieben, rar gesät und immer wieder unterbrochen von Phasen, in denen der eine in einem Hummer-Restaurant aushelfen musste und der andere Illustrationen für Zeitschriften über Gartengestaltung anfertigen musste.
Eines Tages sollte sich aber ihr Schicksal ändern, als Eastman seinem Freund eine Skizze gab, die eigentlich als Witz gemeint war. In Anlehnung an Bruce Lee hatte er die Zeichnung einer Schildkröte, die mit Nunchakus bewaffnet, angefertigt. Laird verstand sofort den Witz und lachte gemeinsam mit seinem Freund über diesen Widerspruch, den die beiden noch weitersponnen in den nächsten Stunden. Zu der ursprünglichen Skizze gesellten sich schon bald drei weitere Schildkröten, die, bewaffnet mit Katanas, Sais und Bos die „Teenage Mutant Ninja Turtles“ bildeten.
Auf Anhieb erfolgreich
Von diesem Moment an war Eastmans Skizze schon kein Witz mehr, denn er und Laird begannen eine Geschichte rund um die vier „Turtles“ zu schreiben. In ihrer typischen Arbeitsweise, bei der sie gegenseitig fertige Skizzen austauschten und entweder die Geschichte weiterschrieben oder sich um die Dialoge kümmerten entstand das am Ende 40 Seiten starke Teenage Mutant Ninja Turtles No.1, das mit einer Erstauflage von 3000 Stück 1984 in den Druck ging. Da die Geschichte recht düster, brutal und eigenwillig war, rechneten weder Laird noch Eastman damit, dass die Comics irgendwen interessieren würden, arbeiteten aber dennoch an weiteren Abenteuern von Leonardo, Donatello, Raphael und Michelangelo, wie sie die Turtles nannten. Bei den vier Figuren sollte es aber nicht bleiben, denn schon im ersten Band stellten sie dem Leser Splinter, April O’Neill, Shredder sowie die Fußsoldaten vor. Ihre wachsende Begeisterung für die Figuren und ihre Welt sollte auf eine breite Leserschaft überspringen, denn die 3000 Exemplare des ersten Bandes waren schon bald ausverkauft und es musste immer wieder nachgedruckt werden.
Von diesem Zeitpunkt an war die eigentlich als Witz gemeinte Idee eine Erfolgsgeschichte. Leider hatte der Erfolg Auswirkungen auf die Freundschaft zwischen Eastman und Laird, denn bereits nach dem fünfzehnten Band arbeiteten die beiden nur noch sporadisch zusammen an einer Geschichte der Teenage Mutant Ninja Turtles. Das ist schon bittere Ironie, wenn man bedenkt, das Freundschaft eines der Hauptthemen der Reihe an sich ist und Raphael und Donatello sogar inspiriert sind von den Persönlichkeiten ihrer beiden Schöpfer.
Die Zukunft der Kampfkröten
Während parallel die Turtle als Trickfilmserie und später auf der Kinoleinwand ein Millionenpublikum erreichten, gab es natürlich auch neue Comics der vier Kampfschildkröten. Der Relaunch der Reihe durch Image Comics 1996 wie auch 1998 durch Archie Comics konnte zwar an den Erfolg des Franchises anknüpfen, ging aber atmosphärisch, ästhetisch und tonal in eine ganz andere Richtung, als es Eastman und Laird im Sinne hatten. Erst mit den Comic-Reihen von Dreamwave Productions und IDW Publishing waren die beiden wieder mehr involviert, wenn auch nicht gemeinsam. Die Comics unter Dreamwave hatten eine starke Science-Fiction Note, was typisch für Laird war, und die Bände von IDW Publishing wirkten „realistischer“, worauf Eastman sehr viel Wert legte. Seit November 2023 kann man die Bände von IDW Publishing auch in deutscher Übersetzung vom Splitter Verlag erhalten.
Nachdem Laird und Eastman für eine Netflix-Dokumentation über Spielzeuge der der Kindheit noch einmal vor der Kamera zu sehen waren, scheinen die beiden ihre Unstimmigkeiten beiseite gelegt zu haben. Für die fünf Bände zu Teenage Mutant Ninja Turtles: The Last Ronin (in Deutschland ebenfalls beim Splitter Verlag erschienen) arbeiteten die beiden Seite an Seite. Die Geschichte spielt in einer Zukunft, in der nur noch einer der vier Turtles am Leben ist und alleine den Kampf gegen Shredder und dessen Soldaten auf sich genommen hat. Am Ende scheint also doch die Freundschaft stärker zu sein als alles andere, denn die Erinnerung an die gemeinsame Zeit mit seinen Brüdern, seinen Sensei Splinter und Mitstreiter wie Casey Jones motivieren den letzten der Turtles zu einem einsamem, letzten Kampf gegen eine Übermacht.
Als die Turtles laufen lernten
Die enorme Popularität der Figuren ist dabei aber nur bedingt auf die Comics zurückzuführen. So erkannte man schon früh, dass sich wesentlich mehr Geld verdienen lässt, indem die Charaktere auch in anderen Medien auftauchen. Sehr einflussreichreich war beispielsweise die Zeichentrickserie, die 1987 an den Start ging. Ursprünglich war sie eigentlich nur als Miniserie konzipiert. Stattdessen lief sie bis 1996, insgesamt 10 Staffeln und 193 Folgen wurden produziert. Diese Beliebtheit hatte jedoch ihren Preis: Man bewegte sich weg von den düsteren Anfängen und setzte stärker auf bunte, kinderfreundliche Unterhaltung. Auch der erste Realfilm Turtles – Der Film von 1990 war als Familienunterhaltung konzipiert, arbeitete mit Humor und knuffigen Kostümen. Das Publikum nahm das dankbar auf, bei einem Budget von 13,5 Millionen US-Dollar wurden am Ende mehr als 200 Millionen eingenommen. Kein Wunder also, dass 1991 und 1993 bereits die nächsten Filme anstanden.
Parallel wurde am Merchandising gearbeitet. Passend zu der neuen jüngeren Zielgruppe gab es alles Mögliche, mit dem man Kinderherzen höher schlagen ließ. Gerade im Spielzeugbereich waren die Turtles groß. Legendär war das erste Videospiel, welches 1989 für das Nintendo Entertainment System erschien – auch wegen des alles andere als kinderfreundlichen Schwierigkeitsgrades. Obwohl die Games oft aber happig waren, die Verkaufszahlen stimmten, weshalb in kurzer Folge viele weitere Teile produziert wurden. Bis 1993, also innerhalb von vier Jahren, kamen elf Spiele für die unterschiedlichsten Systeme heraus, die insgesamt 18 Millionen Mal verkauft wurden. Für die damalige Zeit war das eine ganze Menge.
Filmische Neustarts
Doch so groß der Ruhm war, so allgegenwärtig die Figuren, die Popularität sank in den 1990ern rapide. Der dritte der besagten drei Live-Action-Filme spielte nur noch ein Viertel des Debüts ein, bei deutlich gestiegenen Kosten. Aus dem ursprünglich geplanten vierten Teil wurde dann auch nichts. Tatsächlich sollte es im Anschluss ganze 14 Jahre dauern, bis ein weiterer Film in die Kinos kam. Bei TMNT – Teenage Mutant Ninja Turtles versuchte man aber etwas ganz Neues. Statt realer Schauspieler in Kostümen gab es komplett am Computer erzeugte Charaktere, so wie auch der Rest CGI wurde. Außerdem wurde es düsterer, man orientierte sich wieder etwas stärker an den Anfängen. Gebracht hat das nicht viel, die Einspielergebnisse waren enttäuschend, aus der geplanten Fortsetzung wurde nie etwas.
Deutlich besser erging es 2014 Teenage Mutant Ninja Turtles, das eine Kombination aus Live-Action und CGI wurde. Mit einem Einspielergebnis von knapp 500 Millionen US-Dollar ist der Film bis heute der erfolgreichste aller Kinofilme. Der direkte Nachfolger Teenage Mutant Ninja Turtles: Out of the Shadows war zwar besser, brachte es aber nur noch auf die Hälfte. Und auch der Animationsfilm Teenage Mutant Ninja Turtles: Mutant Mayhem konnte 2023 nicht mithalten, obwohl er mit Abstand die besten Kritiken aller Filme erhielt, mit einer verspielten Optik, Witz und Herz zeigte, wie gut dieses Franchise in den richtigen Händen sein kann. Immerhin: Ein Nachfolger ist für 2026 angekündigt, eine dazugehörige Serie ist bereits draußen. Allgemein waren die Turtles auch während dieser schwierigen Jahre immer mal wieder im Fernsehen präsent. Von einer verunglückten Live-Action-Variante 1997 einmal abgesehen, waren diese alle animiert, gingen trotz gemeinsamer Quelle aber in sehr unterschiedliche Richtungen.
Das ist dann auch eine Besonderheit dieser kampferfahrenen, pizzamampfenden Schildkröten: Sie haben im Lauf der letzten 40 Jahre so viele unterschiedliche Interpretationen gehabt, von erwachsen bis kindlich, von ernst bis humorvoll, von völlig überzogen bis geerdet, dass praktisch alles möglich ist. Das führt dann zwar zu häufigen Diskussionen, wie die Turtles richtig umgesetzt sind, die Vorstellungen gehen da in sehr verschiedene Richtungen. Aber man darf eben auch jedes Mal gespannt sein, in welcher Form die Teenage Mutant Ninja Turtles beim nächsten Mal auftreten werden. Cowabunga!
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