Above the Knee
© Blue Finch Film Releasing

Above the Knee

Inhalt / Kritik

Nach einem schwerwiegenden Vorfall versucht Amir (Freddy Singh) wieder ins Leben zurückzufinden. Die Malerei und seine Freundin Kim (Julie Abrahamsen), mit der er seit einiger Zeit zusammenlebt, sind ihm dabei eine große Hilfe, doch vor den dunklen Visionen und Träumen, die ihn nachts und mittlerweile auch tagsüber begleiten, kann ihn niemand retten. Vor seinen Augen wird sein linkes Bein unterhalb des Knies schwarz vor Fäule und er fantasiert davon, es zu amputieren, abzusägen oder bei einem Unfall zu verlieren. Durch eine Reportage im Fernsehen lernt er Rikke (Louise Waage Anda) kennen, die ein ähnliches Problem mit ihren Augen hat und deswegen vorgibt, blind zu sein. Er nimmt Kontakt zu ihr auf, um endlich jemanden zu haben, mit dem er über sein Problem sprechen kann, doch die Visionen werden immer schlimmer. Mithilfe von Rikke will er seine Vorstellung eines Unfalls, bei dem er sein Bein verliert, endlich wahr werden lassen.

Besondere Sehnsüchte

Wer bereits Viljar Bøes letzten Spielfilm Good Boy kennt, wird schon ahnen, dass der Norweger seinem Themen des Abseitigen in unserer Gesellschaft treu bleibt und abermals hinter die Fassade der Normalität schaut. In Above the Knee, der wie schon Good Boy auf den Fantasy Filmfest White Nights läuft, geht es weniger um Fetische (oder die Gesellschaft als solche klassifiziert), sondern darum, dass das vermeintlich Gewohnte zu einem Fremdkörper wird. Bøe bedient sich der Elemente des Body Horror und des Thrillers, um das Psychogramm eines Menschen zu zeichnen, der in seinem eigenen Körper nicht mehr daheim ist und welche Grenzen er bereit ist, zu überschreiten, um diesem Zustand ein Ende zu setzen.

Etwas ist geschehen im Leben des Helden von Above the Knee. Während sich andere Narrative der Psychologisierung hingeben und Exposition anhäufen, wird der Zuschauer in Bøes Film direkt mit dem Zustand des Protagonisten konfrontiert. Verstörende Bildsequenzen, noch verstärkt durch den Einsatz von Sound, verdeutlichen, was sich hinter dem gequält wirkenden Lächeln des Mannes verbirgt. Die Malerei, für Amir einst noch ein Ausweg, wird mehr und mehr zu einer Manifestation seines Wunsches, jenen Zustand der Harmonie wiederzuerlangen, was natürlich nur geht, wenn er endlich sein linkes Bein losgeworden ist. Ein Gemälde zeigt ihn in hellem Licht mit einem gelösten Gesichtsausdruck und einem Bein weniger im Rollstuhl, doch natürlich kann er dies seiner Freundin und seinen Bekannten nicht zeigen. Wie die Figuren in Good Boy muss Amir funktionieren und muss normal „tun“, jedoch macht die (Selbst-)Täuschung den Zustand nur noch schlimmer. Viljar Bøes Film ist Body-Horror, der einen Zustand der Verstörung beschreibt und den Konflikt eines Menschen, der sich fragen muss, wie viel es ihm wert ist, wieder „normal“ zu sein.

Feindkörper

Wie schon Good Boy ist auch Above the Knee kein Film der großen Effekte. Vielmehr wird der Zuschauer immer wieder in die Innenwelt des Protagonisten und eine schrecklichen Visionen, sodass Amir fast schon wie ein Wiedergänger von Franz Kafkas Gregor Samsa aus Die Verwandlung wirkt. Während die Samsas mit Schock und Erschrecken auf ihren Sohn reagieren, ist es in Above the Knee Amir, der sich endlich befreien will von jenem Feindkörper, der nicht mehr zu ihm gehört, aber dennoch mit ihm verwachsen ist. Freddy Singh, der auch am Drehbuch mitschrieb, spielt auf eine subtile Weise den langsamen psychischen Verfall eines Verfall eines Menschen, der immer mehr auf einen Abgrund zusteuert. Er betont die Qual eines Menschen, der nicht offen über seine Probleme reden kann in vielen, wirklich eindringlichen Momenten, besonders im Zusammenspiel mit Schauspielerin Julie Abrahamsen, die seine letzte Verbindung zu einer normalen Welt ist. War Good Boy noch eine Sozialsatire auf Aspekte wie Klassengesellschaft und Ungleichheit, ist Above the Knee eine Geschichte über Anpassung, Konformismus und was Menschen tun würden, um wieder Teil der Gemeinschaft zu sein.



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Above the Knee
fazit
„Above the Knee“ ist ein subtil gespielter Mix aus Body-Horror und Thriller. Viljar Bøes zweiter Film ist wesentlich reifer als sein Erstling, vor allem inszenatorisch sicherer und effektiver, weil sich der Norweger nicht auf Schockeffekte verlässt und eine klare Bildsprache bevorzugt.
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