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Varvara (Maria Tschuprinskaya) ist Philosophie-Dozentin in einer russischen Provinzstadt und versucht, ihren Studierenden das Konzept vom Tod Gottes nahezubringen. Ihre Schwester Angelina (Dana Ciobanu), eine Gynäkologin, lebt vorübergehend bei ihr. Sie wurde aus Moskau abgeordnet, um das hiesige Krankenhaus zu leiten, nachdem die Zahl der Abtreibungen dort drastisch gestiegen ist. Doch auch Angelina selbst führt eine illegale Abtreibung an einer jungen Frau (Maria Stepanova) durch, die behauptet, der Antichrist habe das Kind gezeugt. Nach dem Tod der Patientin nimmt Angelina den abgetriebenen Embryo mit nach Hause. Währenddessen beauftragt Varvara einen Anwalt (Ghennadii Boiarchin), Nachforschungen über ihre Schwester anzustellen, da sie den wahren Grund für deren Rückkehr in die Provinz anzweifelt.
Philosophie und Metaphysik: Gottes Tod als Leitmotiv
Bereits zu Beginn von Die Vertriebenen wird die thematische Stoßrichtung des Films klar: Varvara hält eine Vorlesung über philosophische Konzepte von Gottes Tod und dem Bösen. Die Dozentin vertritt eine radikal atheistische Sichtweise und lässt den religiösen Studenten Inosemtsev (Epchil Akchalov) durch die Zwischenprüfung fallen, weil er das Konzept vom Tod Gottes ablehnt. „Gott ist ein Konzept, kein Lebewesen“, entgegnet sie scharf auf seine Einwände. Die russisch-stämmige Regisseurin Anja Kreis, die an der Kunsthochschule für Medien in Köln das Regie-Handwerk gelernt hat, setzt hier früh einen intellektuellen Rahmen und greift gleich mehrfach tief in die metaphysische Trickkiste: Das Böse manifestiert sich in diesem Film nicht nur als abstrakte Idee, sondern nimmt konkrete Gestalt an – der Antichrist soll höchstpersönlich eine Jungfrau geschwängert haben.
Doch Die Vertriebenen widmet sich nicht nur der Metaphysik. Der Film streift zahlreiche gesellschaftliche und politische Themen: Universitätsdozenten diskutieren in der Kaffeepause über die Legalisierung der Prostitution, während im Krankenhaus die steigende Zahl der Abtreibungen debattiert wird – ein Phänomen, das mit dem Bau einer neuen Autobahn und dem angeblich daraus resultierenden Niedergang der Stadt in Verbindung gebracht wird. Abtreibungen sind ohnehin ein zentrales Thema: In einem Streit zwischen den Schwestern kommt eine frühere Abtreibung zur Sprache, der Oberbürgermeister (Ion Mocanu) drängt Angelina, die Schwangerschaft seiner Tochter (Michaela Crucichevici) zu beenden, um seinen Ruf zu wahren, und der örtliche Priester (Robert Vaab) versucht im Krankenhaus, Frauen von einem Schwangerschaftsabbruch abzuhalten.
Zu viele Themen, zu wenig Fokus
Doch bei der Fülle an Themen, die Anja Kreis in ihrem Film unterbringt, überlädt sie die Erzählung. Vieles wird angerissen, aber nicht konsequent zu Ende geführt. Dass sie bewusst vieles im Unklaren lässt, ist offensichtlich – David Lynch lässt grüßen –, doch das Mystische in Die Vertriebenen wirkt nicht faszinierend, sondern seltsam leblos. Der Film bleibt ziellos, seine episodenhafte Struktur verhindert eine stringente Erzählung. Dabei gibt es durchaus Szenen mit Potenzial, etwa eine Feier Angelinas mit ihren Arbeitskollegen in Varvaras Wohnung oder die intensiv inszenierte Abtreibungsszene. Doch letztlich überwiegen Fragezeichen – und zwar nicht die, die zum Nachdenken anregen, sondern jene, die sich aus erzählerischer Unentschlossenheit ergeben.
Formal jedoch überzeugt Die Vertriebenen in Teilen. Die Bildsprache von Anja Kreis und Kameramann Eugeniu Dedcov erzeugt eine kühle, unnahbare Atmosphäre, die sowohl die Umgebung als auch die Figuren distanziert erscheinen lässt. Die unterkühlten Darstellungen von Dana Ciobanu und Maria Tschuprinskaya verstärken diesen Effekt zusätzlich. Das macht es dem Publikum allerdings schwer, sich auf die Protagonistinnen einzulassen, wodurch die ohnehin sprunghafte Handlung noch schwerer zugänglich wird. Und schließlich setzt der Film mit einem Finale noch einen letzten Akzent der Verwirrung – ein Ende, das nur schwer mit dem zuvor Gezeigten in Verbindung zu bringen ist.
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