The Diaries of Adam and Eve
Szenenbild aus "The Diaries of Adam and Eve" (© Mizzi Stock Entertainment)

Franz Müller [Interview]

Einen braven, konventionellen Film darf man von Franz Müller nicht erwarten. Seine Projekte haben immer etwas Waghalsiges und leicht Verrücktes an sich. Etwa, wenn er einen Film über das Scheitern eines Films und den Versuch eines Ersatzfilms dreht wie Worst Case Szenario (2014). Jetzt hat er The Diaries of Adam and Eve (Kinostart: 23. Januar 2025) vorgelegt, auf der Basis des gleichnamigen Buches von Mark Twain. Der Film erzählt, wie Adam (Álex Brendemühl) Eva (Anca Androne) kennenlernt und von dem „neuen Wesen“ ganz und gar nicht amüsiert ist. Eva findet ihr Gegenüber ebenfalls recht merkwürdig, wie sie ihrem von Twain erfundenen Tagebuch anvertraut. Der ganze Film, der auch drei moderne Paare einbezieht, transportiert die geheimen Gedanken mittels zwei Off-Stimmen, die den Schauspielern das Sprechen abnehmen. So kommt Twains teils satirischer Text zur vollen Geltung. Er wird kontrapunktiert durch atemberaubende Schauplätze und fantasievolle Kostüme sowie durch eine Bildsprache, die das Rumspinnen und Fantasieren, aber auch ernsthafte Einsichten kongenial ins Visuelle übersetzt. Beim Filmfest München, wo der Film Weltpremiere feierte, sprachen wir mit Regisseur Franz Müller über die Entdeckung des Buches, das Finden der Schauplätze und die Weisheit des Textes.

Wie bist du auf das Buch von Mark Twain gestoßen?

Ich habe das Buch vor 15 Jahren mal zufällig in einem Buchladen entdeckt und mir gekauft. Ich mochte es sofort. Es ist ein sehr kurzer Text und Mark Twain hat ihn, glaube ich, als Auftragsarbeit für einen Firmengeburtstag geschrieben. Anscheinend hat er ihm nicht auf Anhieb gefallen. Jedenfalls hat er ihn in den folgenden 20 Jahren drei Mal überarbeitet. Ich glaube, durch die verschiedenen Überarbeitungen ist die Struktur des Textes so interessant geworden. Man merkt dem Buch an, dass in der Zwischenzeit seine Frau gestorben war. Die Emotionalität ist für Mark Twain eigentlich ungewöhnlich. Zugleich ist der Text sehr lustig. In Deutschland ist das Buch nicht so bekannt. Es war zwischenzeitlich lange vergriffen. Inzwischen bekommt man es wieder. Aber in Argentinien, wo wir gedreht haben, ist es sehr bekannt.

Was ging dir bei der ersten Lektüre durch den Kopf?

Ich mochte das Thema: Da sind zwei Leute, die einander nicht anziehend finden, die aber keine Wahl haben. Nach und nach kommen sie zusammen. Dass sich durch das Aneinander-Gewöhnen irgendwann ein Gefühl von Vertrautheit einstellt, finde ich interessant. Ich glaube, dass man sich gegen dieses Gefühl, was meiner Meinung nach auch Liebe ist, gar nicht wehren kann. Das lässt sich auch umdrehen: Wenn man jemanden richtig gut kennenlernt, ist es sehr schwer, diese Person nicht zu mögen. Ich hatte sehr früh den Gedanken, dass man daraus einen Film machen könnte.

Was hat dich am Text am meisten fasziniert?

Mich begeistert die Leichtigkeit, mit der dieses antiromantische Thema erzählt wird. Und ich weiß, dass es solche Geschichten zuhauf gibt. Deshalb habe ich den Film auch meinen Eltern gewidmet. Liebe ist ja nicht nur ein romantischer Vorgang, sondern auch ein Arrangement. Diese erwachsene Sicht auf das Phänomen fand ich toll. Sie spielt auch in anderen Filmen von mir eine Rolle. Es geht eigentlich immer um antiromantische Sichtweisen auf Dinge, die mit Romantik verbunden sind. Das erzeugt dann in Twains Buch hinten raus eine Form von Wärme, die auch das Phänomen Freundschaft betrifft, aber auch die Beziehung zu Kindern, die Twain ebenfalls sehr witzig und zugleich realitätsnah beschreibt.

Wann wurde die Idee für den Film konkret?

Ich habe in Polen den improvisierten Film Worst Case Szenario gedreht, den Hans Geißendörfer finanziert und bei dem Laura Tonke mitgespielt hat. Er bekam das Geld wieder, weil ich den Film an Arte verkaufen konnte. Später hat er mich auf einer Party angesprochen und mir angeboten, erneut einen Film von mir zu finanzieren. Zwei Wochen später traf ich zufällig Laura Tonke auf der Straße. Sie fragte mich, ob wir nicht mal wieder so etwas Schnelles miteinander drehen wollten. Damals hatte ich ein Drehbuch geschrieben für Laura Tonke und Álex Brendemühl in den Hauptrollen, aber dieser Film ließ sich nicht finanzieren. Deshalb dachte ich, ich nehme das schöne Buch von Mark Twain und verfilme es mit Àlex und Laura als Adam und Eva.

War das leicht zu finanzieren?

Hans Geißendörfer musste sein Geldangebot leider wieder zurückziehen, weil er es nun für einen eigenen Film brauchte. Deshalb haben wir 185 000 Euro bei der Bundesfilmförderung BKM beantragt, was eigentlich viel zu wenig ist. Wir konnten dann noch den Saarländischen Rundfunk und Arte ins Boot holen. Das waren sehr schöne Gespräche, weil sie letztendlich auf Vertrauen aufbauten. Das ist in Deutschland sehr ungewöhnlich, dass man nicht auf Basis eines Textes das Geld bekommt, sondern aufgrund der Tatsache, was man vorher gemacht hat und wer an dem Projekt beteiligt ist. Das sollte auch bei größeren Projekten so sein. In Ländern ohne Filmförderung ist das der normale Weg.

Hast du an dem Text viel gestrichen oder umgearbeitet?

Anfangs habe ich die Voice Over komplett aus dem Mark Twain-Buch übernommen. Aber im Schnitt musste ich viel streichen oder abändern. Vieles vom Anfang ist noch Original Mark Twain und hinten raus ist dann viel geändert, teilweise sogar neu geschrieben und insgesamt viel gekürzt.

War von Anfang an klar, dass zwei Off-Stimmen den Film tragen würden?

Das war von Beginn an die Idee. Ich wollte ja universeller erzählen, indem ich neben dem Adam-und-Eva-Paar in der Wildnis noch weitere Paare spielen lasse. Das musste ich irgendwie zusammenbringen. Deshalb war klar, dass die Voice Over eine tragende Rolle spielen wird. Und ich wollte das alte Englisch von Mark Twain haben, weil es noch einmal eine besondere Nuance in den Text bringt.

Wie hast du die Schauplätze gefunden? Kennst du dich in Argentinien aus?

Wenn man wenig Geld hat und den Leuten nicht viel bezahlen kann, dann muss man ihnen wenigstens was bieten. Deshalb dachte ich, wir gehen drei Wochen nach Argentinien, wo ich Freunde habe, unter anderem meinen Kameramann Agustín Mendilaharzu. Und ich biete den deutschen Schauspielern und Teammitgliedern etwas Exotisches an einem Ort, wo sie noch nie waren. Mit meinem älteren Sohn ging ich auf Location-Scouting. Wir kamen an einen entlegenen Ort in einem Nationalpark, von dem wir beiden dachten, hier sieht es aus wie im Paradies. Dort wohnte ein junger Mann, der schon immer mal bei einem Film mitwirken wollte. Er hat uns den Dreh an diesen verrückten Orten ermöglicht. Der zweite Teil ist dann an einem etwas unkomplizierteren Schauplatz gedreht, auf einer Hochebene der Anden.

Der Film fasziniert unter anderem auch durch die Kostüme. Wie bist du auf die Idee gekommen, Tiere von Menschen spielen zu lassen und die in diese fantasievollen Kostüme zu stecken?

Mein Kameramann Agustín Mendilaharzu hat einmal gesagt, unsere Kostümbildnerin Chiara Minchio sei der „Lionel Messi“ in unserem Team. Sie hat praktisch die Latte gesetzt mit ihren Kostümen und alle versuchten, mit ihrem eigenen Gewerk auf dasselbe Level zu kommen. Tatsächlich habe ich mit Chiara, die wie ich in Berlin lebt, in der Vorbereitung die meiste Zeit von allen Teammitgliedern verbracht. Sie kommt wie ich aus der Kunst. Wir haben uns lange unterhalten, aber alle Kostüme sind originär von ihr geschneidert und gebaut. Die Perücken zum Beispiel sind alle aus Wolle und handgeknüpft. Man sieht, glaube ich, dem Film auch an, dass da sehr viel Sorgfalt in die Kostüme geflossen ist.

Ich finde, die Kostüme tragen auch zur Leichtigkeit des Films bei. Bei einem vorgegebenen Text kann man natürlich nicht improvisieren, aber vieles wirkt spontan und frisch, als wäre es auf die Schnelle erfunden worden. Waren die Dreharbeiten tatsächlich leicht?

Der Eindruck kommt wahrscheinlich daher, dass die Leute, die da mitgemacht haben, sich alle sehr mochten. Laura Tonke konnte dann doch die Hauptrolle nicht übernehmen, sondern verkörpert eine kleinere Figur. Deshalb musste ich auf die Schnelle einen Ersatz für die weibliche Hauptrolle finden und habe dabei auch Àlex Brendemühl einbezogen. Wenn die Leute beteiligt werden, ist natürlich auch das Vertrauen am Set da. Der Dreh als solcher war sehr hart. Wir hatten ein hohes Arbeitspensum und es war zumindest im Dschungel auch gefährlich.

Du hast schon angesprochen, dass der Film deinen Eltern gewidmet ist. Wie ist das gemeint? Als Hommage?

Mir ist im Schnitt irgendwann aufgefallen, dass das auch die Geschichte meiner Eltern ist. Sie sind jetzt 60 Jahre verheiratet und haben sich aus einer gewissen Not heraus gefunden. Sie haben extrem lange gebraucht, um anderen Menschen gegenüber zu sagen, dass sie sich lieben. Sie sind wie die beiden Figuren im Film, die trotz allem zusammengeblieben sind. Heute würde man sich vielleicht trennen. Aber Adam und Eva hatten diese Möglichkeit nicht und meine Eltern, die eben in einer ganz anderen Zeit aufgewachsen sind als ich, hatten diese Möglichkeit auch nicht. Ganz generell drehen sich meine Filme eigentlich immer um beschädigte Menschen. Es geht nie um perfekte Wesen. Aber auf ihre Weise sind sie trotzdem toll. Ich liebe Adam und Eva in dem Film und auch die anderen Figuren in meinen Filmen. Charaktere in Filmen, die klug sind und moralisch gute Dinge tun, interessieren mich nicht.

Gibt es neue Projekte von dir?

Im Spätsommer drehe ich den zweiten Teil von meinem Film Die Liebe der Kinder aus dem Jahr 2009. Das ist im Grunde keine Fortsetzung, sondern eher ein Spin-Off, weil sich die vier Hauptfiguren aus dem ersten Teil in den 15 Jahren seitdem natürlich weiterentwickelt haben und an anderen Orten leben. Álex Brendemühl wird erneut mitspielen und die anderen aus dem ersten Teil auch: Marie-Lou Sellem, Katharina Derr und Tim Hoffmann. Aber es kommen auch neue Leute dazu. Ansonsten habe ich Projekte wie Sand am Meer.

Zur Person
Franz Müller (Jahrgang 1965) absolvierte von 1990 bis 1995 ein Studium der Freien Kunst bei Gerhard Richter und Kybernetik bei Oswald Wiener. 1999 begann er ein Postgraduiertenstudium an der Kunsthochschule für Medien Köln. Sein erster Langfilm war 2003 Science Fiction, für den er den Förderpreis für den besten Absolventenfilm der Babelsberger Medienpreise bekam. Für seinen 2009 erschienenen zweiten Spielfilm Die Liebe der Kinder erhielt er den „Fliegenden Ochsen“, den Hauptpreis des Spielfilmwettbewerbs beim Filmkunstfest Mecklenburg-Vorpommern. Franz Müller ist Mitherausgeber der Filmzeitschrift „Revolver“.



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