In dem Film The Village Next To Paradise nimmt uns Mo Harawe mit nach Somalia und gibt einen Einblick in den Alltag von Mamargade (Ahmed Ali Farah), seiner Schwester Araweelo (Anab Ahmed Ibrahim) und seinem Sohn Cigaal (Ahmed Mohamud Saleban). Das Leben in dem Dorf ist hart, die Lage im Land instabil. Nur mühselig gelingt es den dreien, über die Runden zu kommen. Das Drama feierte 2024 in Cannes Premiere und war anschließend auf zahlreichen renommierten Festivals zu Gast. Am 30. Januar 2025 steht dann auch der reguläre Kinostart bei uns an. Das haben wir zum Anlass genommen, uns mit dem somalisch-österreichischen Regisseur zu unterhalten.
Welchen Eindruck sollen Zuschauer von deinem Geburtsland bekommen – abgesehen von den schwierigen politischen Verhältnissen?
Ich glaube, den Spirit der Menschen zu zeigen, dieses Nie-Aufgeben, die Solidarität, die Hoffnung, die Zuversicht. Das, was Menschen zu Menschen macht. Weil man das normalerweise nicht von außen sieht – als ob die Menschen nur Opfer sind und das war’s. Die Idee war, das Gegenteil zu zeigen, indem man die Menschen im Vordergrund hat und all diese Probleme im Hintergrund reduziert, ohne sie zu verschonen.
Der Film startet mit einem relativ alten News-Beitrag von 2014, in dem vom Tod eines hochrangigen Terroristen berichtet wird. In der ersten Szene sehen wir dann die notdürftige Beisetzung eines Mannes, von dem wir aber nie erfahren, wer er war. Auch die Figuren wissen nicht, wer diese Person ist. Wolltest du damit zeigen, dass sich an der Wirkungslosigkeit von allen Interventionen von außen eigentlich nichts geändert hat über die ganzen Jahre? Egal, welche Parteien involviert sind?
Das war für mich eine Art und Weise zu zeigen, was man normalerweise konsumiert. Dass das keine Information und keine Nachricht ist, sondern Unterhaltung – es gibt ja auch eine Animation … Und ich weiß nicht, ob jemand, der sich solche Nachrichten anschaut, wirklich über die Menschen nachdenkt. Das tut man nicht. Du denkst nicht über die Menschen nach. Es wirkt mehr wie ein Computerspiel. Und ich wollte aufzeigen, was man normalerweise sieht und dann, was man normalerweise nicht sieht – und zwar Menschen und deren Alltag. Ich wollte mit der Erwartung spielen, die du durch diesen News-Clip bekommst.
Wenn du schon über Sachen sprichst, die man nicht sieht: War es eine bewusste stilistische Entscheidung, die vorbeirauschenden Drohnen nicht zu zeigen, sondern nur über die Geräuschkulisse näherzubringen?
Die Idee war, nur das zu sehen, was die Figuren sehen. Und normalerweise siehst du die Drohnen nicht, du hörst sie nur. Und dann heißt es: Bumm. Das ist alles, was du mitbekommst. Und das war die Idee; dass du als Zuschauer genau das Gleiche siehst, was die Figuren sehen und das hörst, was sie hören, und das spürst, was sie spüren. Also war es teilweise auch eine stilistische Entscheidung. Man hätte es natürlich auch zeigen können. Aber für mich lag die Motivation darin, dass die Figuren sie nicht sehen und hören können.
Der Film erzählt die Geschichte von drei Figuren, die allesamt von einer ähnlichen Perspektivlosigkeit betroffen sind. Auch wenn es schwer ist, hier eine Abstufung zu finden. Aber wer würdest du sagen, ist der oder die Leidtragendste aus dieser Familie?
Beim Schreiben war für mich Araweelo die Hauptfigur. Ich wusste, dass es die ganze Zeit um sie geht.
War dir eine feministische Positionierung wichtig?
Also bewusst – dass ich denke „Okay, sie muss feministisch sein“ – nicht. Für mich sind somalische Frauen der Grund, warum meine Generation überlebt hat und noch immer Menschen in Somalia überleben. Somalische Frauen sind starke Frauen, die rausgehen und Dinge erledigen, tun und machen. Das heißt, ich kannte oder kenne viele solcher Frauen und ich habe eigentlich nur das geschrieben, was ich kannte und gesehen habe. Aber ich verstehe, dass es gleichzeitig feministisch ist, eine starke Frau zu sein, die ein Ziel hat, und das erreichen möchte, was sie will und unabhängig ist.
In dem Film gibt es sehr viele Close-ups von Gesichtern und diese sind oft oder eigentlich fast immer relativ ausdruckslos. War es dir wichtig, dass die Schauspieler vielleicht etwas reduzierter spielen und wenig Emotionen mimisch darstellen?
Das war eine bewusste Entscheidung, natürlich. Und ich glaube, es ist etwas Somalisches, weil ich viele Emotionen in diesen stoischen Blicken sehe. Es ist eine andere Art von Kommunikation, die man vielleicht in Europa unterschätzt oder darüber vielleicht anders denkt. Ich brauche mehr Empathie, um das zu verstehen, was in dieser Person gerade vorgeht.
Ich fand auch, dass ich mehr nach Emotionen suchen musste, gerade weil ich sie im Gesicht nicht sehen konnte. Ich habe mich gefragt: „Okay, was will mir die Figur gerade vermitteln, was passiert gerade in ihr?“ Es war sehr interessant zu bemerken, wie man sich als Zuschauer auf diese andere Form des Ausdrucks einlässt.
Ich glaube, die Figuren haben es verdient, dir nichts zu zeigen, beziehungsweise nicht alles herauszubringen, sondern dass man hinschauen sollte, dass man mehr Zeit geben muss, damit man mitbekommt, was sie in ihrem Leben gerade durchmachen. Und sie sollen dir nichts geben. Du musst dafür arbeiten. Das haben sie sich verdient.
Wie waren die Dreharbeiten generell? Wo hat das meiste stattgefunden? Und waren – auch wenn das jetzt wieder eine sehr europäische bzw. westliche Frage ist – mit den Aufnahmen auch gewisse Risiken verbunden?
Wir haben den Film im Nordosten von Somalia gedreht. Es waren 64 Drehtage mit einem Team aus Somaliern, Ägyptern, Kenianern und Ugandern. Ich kannte diesen Ort bereits, weil ich dort zwei meiner früheren Kurzfilme gedreht habe. Sicherheitsbedenken gab es keine, weil dort alles relativ stabil ist. Ich glaube, der einzige Ort, wo wir diesen Film hätten drehen können, war in Somalia. Woanders wäre es unmöglich gewesen, vor allem, wenn es darum ging, wie groß die Produktion ist und wie klein unser Team war. Die Menschen waren hier sehr gastfreundlich und wir haben relativ schnell Locations finden können, sogar manchmal spontan am selben Drehtag. Es war ein langer Drehprozess, muss ich sagen … 64 Tage, ohne Pause. Aber sonst ist alles gut gelaufen.
Du hast deine Kurzfilme („Life on the Horn“ (2020), „Will My Parents Come to See Me“ (2022) – beide spielen ebenfalls in Somalia) angesprochen. Kannst du uns vielleicht einen kleinen Ausblick auf deine kommenden Projekte geben? Wird es wieder um Somalia gehen?
Ich habe keine Entscheidung getroffen und weiß nicht, was das nächste Projekt sein wird. Aber es muss nicht in Somalia sein. Es kann auch in Österreich oder Deutschland sein. Ich bin offen. Es hängt von den Interessen ab. Wofür man gerade brennt und was man machen will.
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