Sarah Reisinger (Florentina Holzinger) ist eigentlich eine Kämpferin. Im MMA-Käfig hat sie sich immer behauptet, doch außerhalb davon ist sie weniger sicher auf den Beinen. Nach ihrem Karriereende versucht sie in Wien als Kampfsportlehrerin einen Neustart, doch so recht will das Leben nicht in den Griff kommen. Als ein verlockendes Angebot aus Jordanien kommt, nimmt sie die Herausforderung an: Sie soll Abduls (Omar AlMajali) drei Schwestern – Shaima (Nagham Abu Baker), Nour (Andria Tayeh) und Fatima (Celina Sarhan) – in Martial Arts unterrichten. Doch schnell wird klar, dass die Aufgabe weit mehr Hürden birgt, als Sarah erwartet hatte. Die jungen Frauen leben isoliert und streng überwacht in einem ultrakonservativen Haushalt. Zwischen Langeweile, endlosen Seifenopern und Shopping-Mall-Besuchen zeigen sie wenig Interesse an Training oder ihrer neuen Lehrerin. Sarah stößt nicht nur an die Grenzen ihrer Rolle, sondern auch auf die Geheimnisse und Zwänge, die das Leben der drei Schwestern bestimmen.
Ein realistischer Ansatz ohne Hollywood-Glanz
Regisseurin Kurdwin Ayub, die bereits mit ihrem Debüt Sonne für Aufsehen sorgte, legt mit Mond ein intensives Drama nach, das 2024 bei den Filmfestspielen von Locarno mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet wurde. Ayub beschreibt ihren Film als eine Art „White-Savior-Geschichte“, allerdings bewusst ohne die Romantisierung und das Wohlfühlende, das solche Geschichten in Hollywood-Produktionen oft prägt. Stattdessen erzählt sie die Geschichte mit einem realistischen Ansatz – und das bedeutet auch, dass es nicht unbedingt ein Happy End gibt.
Der Clou dabei: Die gesamte Handlung wird konsequent aus Sarahs Perspektive erzählt. Der Zuschauer sieht nur das, was sie sieht. Es gibt keinen allwissenden Blick auf die Ereignisse, keine zusätzlichen Erklärungen. Wir sind gefangen in der Perspektive einer Fremden, die die Kultur des Nahen Ostens nicht vollständig begreifen kann – genauso wenig wie wir als Zuschauer. Das zwingt einen, seine eigenen Schlüsse aus den Eindrücken zu ziehen.
Gefangen im goldenen Käfig
Der Film zeichnet einen scharfen Kontrast zwischen der emanzipierten Kampfsportlerin und den drei jungen Frauen, die in einem goldenen Käfig leben. Für Sarah war der MMA-Käfig ein Symbol für Kontrolle und Klarheit. Im Leben außerhalb des Käfigs fehlt ihr offensichtlich diese Struktur. Ihre Schülerinnen hingegen sind in einem Haushalt gefangen, der von ultrakonservativen Regeln, Passivität und Zwängen geprägt ist. Doch auch Sarah bleibt davon nicht unberührt. Ihr Wunsch, den Mädchen zu helfen, steht in Konflikt mit den Gefahren, die ein solches Handeln mit sich bringt. Ausbrüche aus ihrem Dilemma gelingen ihr nur selten: einmal in einer berauschten Clubszene, in der sie sich durch Tanz befreit, und am Ende in einer Karaoke-Szene, die einen Hauch von Katharsis bietet. Auffällig: Diese beiden Momente sind mit die einzigen im Film, die musikalisch untermalt sind – ein bewusster Bruch in der sonst nüchternen Inszenierung.
Die Darstellerinnen, darunter viele Neulinge, liefern beeindruckende Leistungen ab. Besonders Andria Tayeh, in Jordanien bereits durch die Netflix-Serie AlRawabi School for Girls bekannt, und Florentina Holzinger als Sarah stechen hervor. Holzinger, die ihr Filmdebüt gibt, ist eigentlich als Performance-Künstlerin und Regisseurin eine der spannendsten Figuren der deutschsprachigen Theaterszene. Ihre Vergangenheit als Kampfsportlerin gibt ihrer Darstellung eine besondere Authentizität.
OT: „Mond“
Land: Österreich
Jahr: 2024
Regie: Kurdwin Ayub
Drehbuch: Kurdwin Ayub
Musik: Anthea Schranz
Kamera: Klemens Hufnagl
Besetzung: Florentina Holzinger, Celina Sarhan, Andria Tayeh, Nagham Abu Baker, Omar AlMajali
Locarno 2024
Around the World in 14 Films 2024
Max Ophüls Preis 2025
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