Piece by Piece
Regisseur Morgan Neville als Lego-Figur in dem animierten Dokumentarfilm "Piece by Piece" über den Musiker Pharrell Williams (© Focus Feature)

Morgan Neville [Interview]

Deutsche Version

Im Laufe seiner Karriere hat Morgan Neville schon mehrere Dokumentarfilme zum Thema Musik gedreht, darunter das mit einem Oscar prämierte 20 Feet from Stardom. Doch mit seinem neuesten Werk Piece by Piece geht der US-amerikanische Regisseur einen ganz eigenen Weg. Darin erzählt er die Geschichte des Musikers und Produzenten Pharrell Williams, der unter anderen für seine Arbeit mit The Neptunes und das Lied Happy bekannt ist. Er tut dies jedoch in Form eines Animationsfilms, in dem alles durch Lego dargestellt wird – einschließlich er selbst. Wir haben uns anlässlich des Kinostarts am 16. Januar 2025 mit Neville über den Film, die Vorzüge von Animation und Kreativität unterhalten.

Warum hast du einen Film über Pharrell Williams gemacht? Warum warst du daran interessiert, seine Geschichte zu erzählen?

Ich habe viele Musikfilme gemacht, aber ich habe das Gefühl, dass Künstler eigentlich nicht die interessantesten Menschen in der Musikbranche sind. Ich denke, Produzenten sind die interessantesten Menschen in der Musikbranche. Im Laufe der Jahre habe ich Zeit mit Produzenten wie Rick Rubin, Mark Ronson und Bryan Wilson verbracht. Ich habe das Gefühl, dass Produzenten eine größere Vision von Kreativität haben müssen, weil sie zwischen den Welten reisen. Sie müssen verschiedene Sprachen sprechen können. Künstler neigen in gewisser Weise dazu, sehr kurzsichtig zu sein, weil die Welt sich um sie kümmert. Aber Produzenten ähneln eher dem Zauberer von Oz. Sie müssen in der Lage sein, etwas Größeres zu artikulieren. Und Pharrell war jemand, der in meinem Bewusstsein im Laufe der Zeit an zufälligen Orten auftauchte. Ich kannte die Neptunes und einige der Lieder, die sie gemacht hatten. Und ich wusste, dass er diese japanische Modelinie namens Billionaire Boys Club hatte, und ich wusste, dass er Songs für Filme schrieb. Aber keines dieser Dinge ergab für mich Sinn, ebenso wenig die Art und Weise, wie sie alle zusammenpassten. Sie waren wie zufällige Schnappschüsse. Und als ich ihn traf, hatte er eine so interessante Einstellung zu Kreativität, dass all das einen Sinn ergab. Er ist in vielerlei Hinsicht ein Querdenker, aber er tut es nicht nur, um anders zu sein. Er tut es, weil er sieht, wie Dinge auf eine Weise zusammenwirken können, die für die meisten Menschen keinen Sinn ergibt. Er hat diese Art der Jagd etwas hinterherzugaen, das unwahrscheinlich und vielleicht sogar erfolglos ist, aber zumindest ist es etwas Einzigartiges. Wofür der Film sicherlich ein Beispiel ist.

Dann lass uns über die Einzigartigkeit sprechen, seine Geschichte als Lego-Film umzusetzen. Welchen Vorteil hat es, dies auf diese Weise zu machen, anstatt einen normalen Dokumentarfilm zu drehen?

Es gibt so viele Vorteile. Dieser Film begann als Dokumentarfilm und basiert auf dokumentarischen Techniken. Aber ich weiß nicht, was es jetzt ist, denn es ist auch ein Fantasy Film, ein Musical, ein Animationsfilm und ein Biopic. Dann ist da noch Pharrell, der Songs schreibt und diese in den Film einbaut, es entsteht also so etwas wie ein Dialog zwischen ihm und dem Film, wobei der Film meine Vision seiner Geschichte ist. Du siehst also, es wird in gewisser Weise sehr düster und meta. Aber was Animationen bewirken können, ist, dass man die Fantasie und die Subjektivität einer kreativen Person auf eine Weise darstellen kann, die mit einer Kamera nur sehr schwierig wäre.

Könntest du uns ein Beispiel geben?

Eine der offensichtlichsten Möglichkeiten ist die Visualisierung von Musik. Im Film sehen wir nicht nur die Beats, sondern auch Pharrells Synästhesie, das heißt seine Fähigkeit, Farben zu sehen, wenn er Geräusche hört. Dass das möglich war, war erstaunlich und schien mit dem Lego-Format wirklich zu funktionieren. Aber auch in der Animation hatte ich das Gefühl, wir könnten eine Zeitreise unternehmen. Anstatt in einem Dokumentarfilm die Geschichte über die Aufnahme eines Songs oder die Idee für einen Song zu erzählen, können wir tatsächlich mit jemandem zusammen sein, der sich in einer Kabine den Gesang anhört und das aufnimmt. So kann man mit Animationen auf eine Art und Weise im Moment sein, wie das normalerweise bei Dokumentarfilmen nicht möglich ist. Ich liebe diese Fähigkeit, durch die Zeit zu reisen, und ich wollte wirklich, dass die Leute mir beim Zeitreisen helfen. Als ich die Interviews führte, habe ich die Leute deshalb gebeten, so viel wie möglich mitzuhelfen, ein Bild dieser Momente zu zeichnen.

In einem normalen Dokumentarfilm führt man Interviews und geht am Ende das Material durch und sucht nach den interessantesten Stoffen, um eine Geschichte zu erzählen. War es in diesem Film auch so, dass du zuerst die Szenen ausgewählt hast und dich dann gefragt hast, wie du sie visualisieren kannst? Oder hast du nach Szenen gesucht, die optisch am interessantesten sind?

Ich denke, es war von allem etwas dabei. Vielleicht ein Viertel des Films ist eine wörtliche Übersetzung echten Filmmaterials. Egal, ob es sich um ein Musikvideo oder etwas handelt, das wir gedreht haben, wir haben etwas genommen und es genau so animiert, wie es existiert. Die Szenen, in denen wir unter Wasser gehen oder in den Weltraum fliegen, das war etwas, was wir uns ausgedacht haben, als wir den Film geschnitten haben, bevor wir ihn animiert haben. Ich wollte, dass wir unsere Möglichkeiten nutzen und visuell in den psychologischen Raum vordringen. Ein Teil davon drängte sich immer wieder auf. Pharrell war zum Beispiel schon immer von Wasser besessen. Er nannte seine Band nicht ohne Grund The Neptunes. Deshalb hatte ich das Gefühl, wir müssten die Möglichkeiten des Wassers ausnutzen. Gleichzeitig war er schon immer vom Weltraum besessen. Er sprach über Star Trek und sein erstes Plattenlabel heißt Star Trak. Und so dachte ich, irgendwann müssen wir in den Weltraum fliegen. Und dann fügten sich viele Dinge zusammen. Daft Punk sind so etwas wie außerirdische Roboter, also habe ich sie in dieser Welt leben lassen. Es hat so viel Spaß gemacht, durch Animationen metaphorisch fantasieren zu können. Und dann gab es ganze Szenen, die nur aus Gesprächen entstanden sind. So spricht zum Beispiel Busta Rhymes über Manager, die einem nicht wirklich helfen, und dass sie einen zurücklassen, wenn die Dinge nicht gut laufen, mit angezogenen Schwimmwesten auf einem Rettungsboot. Und diese Metapher wurde zur Grundlage für eine gesamte Szene im Film mit dem Wassersturm. Das ist ein Beispiel, wie wir durch die Animation eine Idee ausbreiten konnten, die in einem normalen Dokumentarfilm sehr klein gewesen wäre.

Eine letzte Frage. Du hast vorhin Kreativität erwähnt, und mir gefällt die Idee des Films, dass Künstler bestehende Dinge nehmen und sie neu zusammenfügen. Wie würdest du Kreativität beschreiben? Was bedeutet das für dich?

Gott, das ist eine große Frage. Ich denke, Kreativität ist für jeden anders. Ich denke, Kreativität bedeutet einfach, dass wir unsere Einzigartigkeit auf welche Art auch immer zum Ausdruck bringen. Das drückt sich also bei jedem anders aus. Das Annehmen der eigenen  Einzigartigkeit macht dich kreativ. Wenn man nur etwas Existierendes nachahmt, ist das keine höchste Kreativität. Wenn du etwas Neues ausprobierst, das einzigartig für dich ist, egal ob nun gut oder schlecht, habe ich das Gefühl, dass du damit deine kreative Höchstform erreichst.

Danke für das Interview!

English version

Morgan Neville has made several music-themed documentaries throughout his career, including the Oscar-winning 20 Feet from Stardom. But with his latest work, Piece by Piece, the American director follows a different path. In it he tells the story of the musician and producer Pharrell Williams, who is known, among other things, for his work with The Neptunes and the song Happy. However, he does this in the form of an animated film in which everything is represented by Lego – including himself. We spoke to Neville about the film, the benefits of animation and his definition of creativity.

Why did you do a film on Pharrell Williams? Why were you interested in telling his story?

I’ve made a lot of music films, but I feel that artists are actually not the most interesting people in music. I think producers are the most interesting people in music. Over the years I’ve spent time with producers like Rick Rubin, Mark Ronson and Bryan Wilson. I feel like producers have to have a bigger vision of creativity because they travel between worlds. They have to be able to speak different languages. You know, artists tend to be very myopic in a certain way, because the world caters to them. But producers are more like the Wizard of Oz. They have to be able to articulate something bigger. And Pharrell was somebody who in my consciousness popped up in random places throughout time. I knew the Neptunes and some of the songs they had done. And I knew that he had this billionaire boys club, Japanese clothing line and I knew he was writing songs for movies. But none of those things made sense to me, like how they all fit together. They were like these random snapshots. And when I met him he had such an interesting take on creativity, that all that stuff started to make sense. He’s a contrarian in many ways but he’s not doing it just to be different. He’s doing it because he sees how things can connect in ways that don’t make sense to most people. There’s something about that kind of chasing of something that’s unlikely and maybe even not successful, but at least it’s something that’s unique. Of which the film is certainly an example.

Then let’s talk about the uniqueness of doing it as a Lego film. What’s the advantage of doing it in this way rather than doing a regular documentary?

There are so many advantages. This film started as a documentary and is based on documentary techniques. But I don’t know what it is now because it’s also a fantasy, and it’s a musical, and it’s an animated film and it’s a biopic. Then there’s Pharrell writing songs and putting those into the film, so there’s kind of a like a dialogue between him and the movie with the movie being my vision of his story. So you see it’s getting very murky and meta, in a way. But the thing that animation can do is you can embrace the fantasy and the subjectivity of a creative person in a way that would be very difficult with just a camera.

Could you give us an example?

Some of the most obvious ways is being able to visualize music. You know in the film, not only do we see the beats, but we can see Pharrell’s synesthesia, which is his ability to see color when he hears sound. Being able to do that was amazing and seemed to really work with the format of Lego. But also in animation, I felt like we could time travel. Rather than telling the story  in a documentary about recording a song or coming up with the idea for a song, we can actually be with somebody listening to the vocal of them in a booth recording that. So you can kind of be in the moment with animation in a way that you can’t normally do in documentary. I kind of love that ability to time travel and I really wanted people to help me time travel. So when I did the interviews, I really asked people to help paint the picture of these moments, as much as they could.

In a normal documentary you do these interviews and then at the end you’re going through the material and look for the most interesting stuff to tell a story. Was it like this in in this film too, that you first chose the scenes, and then wondered about how to visualize them? Or were you already looking for the scenes that were the most interesting ones in regards to the visuals?

I think it was a bit of everything. Maybe a quarter of the film is just a literal translation of real footage. So whether it’s a music video or something we shot, we were taking something and just animating it exactly as it exists. But if you take these scenes in the film where we go underwater or we go to outer space that was something we conceived when we were editing the film before we animated it. I knew I wanted us to be able to take advantage of what we could do and get into the psychological space visually. Part of it kept suggesting itself. For instance Pharrell was always obsessed with water. He named his band The Neptunes for a reason. So I felt we had to take advantage of what water could do. At the same time, he was always obsessed with space. He talked about Star Trek and his first record label is called Star Trak. And so I thought, we’ve got to go to outer space at some point. And then lots of things started to come together. Daft Punk are kind of alien robots, so I let them live in that world. Being able to kind of fantasize metaphorically in that way, through animation, was so much fun. And then there were whole scenes that come out of just conversations. So, for instance, Busta Rhymes has this speech where he talks about the managers who don’t really help you, and that when things aren’t going well, they abandon you in their life rafts with their life jackets on. And that metaphor suggested that entire scene in the film with the water storm. So that was again something where you get to stretch through the animation an idea that might be very tiny in a normal documentary.

One final question. Earlier you mentioned creativity and I really like the idea of the film of artists taking stuff and putting them together. How would you describe creativity? What does it mean to you?

God, that’s a big question. I think creativity is different for everybody. I think creativity is just us expressing our uniqueness in whatever way that is. So it comes out differently for everybody. Embracing the uniqueness is what makes you creative. When you’re just emulating something that exists that’s not peak creativity. When you’re trying something new, good or bad in any form, something that’s uniquely you, I feel like that’s you at your creative best.

Thank you for the interview!



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