
Kneecap (Kinostart: 23. Januar 2025) erzählt die Geschichte des gleichnamigen Trios, das in seiner Heimat Nordirland zur Sensation wurde, da es ausschließlich auf Irisch rappt. Und auch sonst sind die drei für jede Provokation zu haben, wie der Film demonstriert. Die biografische Musikkomödie wurde damit zum Publikumshit, wurde auf zahlreichen Festivals gespielt. Wir haben uns mit Regisseur Rich Peppiatt im Rahmen des Filmfests Hamburg unterhalten und sprechen mit ihm über die Entstehung des ungewöhnlichen Projekts, die Besonderheit der Gruppe und seinen langen Weg bis zum Regiestuhl.
Könntest du uns etwas über die Entwicklung von Kneecap erzählen? Wie bist du auf die Idee gekommen, diesen Film zu machen?
Ich habe viele Musikbiografien gesehen und bin ziemlich abgestumpft, was dieses Genre angeht. Alle zwei Monate gibt es ein neues Biopic, und sie sind sehr formelhaft und blicken immer auf die Karrieren von Musikern zurück, die entweder tot oder fast tot sind. Sie sind immer sehr selektiv, wenn es um die Beschreibung der Karrieren geht. Ich suchte nach einer Möglichkeit, es ganz anders anzugehen. Und dann traf ich Kneecap. Das ist eine Band, die keinen Plattenvertrag hatte und in einer Sprache rappte, die niemand wirklich sprach. Es war nicht unbedingt ein Hollywood-Blockbuster, es machte keinen Sinn, einen Film über sie zu machen, und das war der eigentliche Grund, einen Film über sie zu machen. Dann entstand die Idee, ein Biopic in Echtzeit zu machen, in dem man sozusagen den Aufstieg einer Band verfolgt. Es hat wunderbar geklappt, denn ihr Debütalbum erschien diesen Sommer gleichzeitig mit der Veröffentlichung des Films. Das entwickelte sich auf eine Weise, von der wir vor fünf bis sechs Jahren, als wir diese Reise begannen, nie wirklich zu träumen gewagt hätten.
Du hattest also darüber nachgedacht, ein Biopic zu machen, ohne jemanden zu haben, über den du das Biopic drehen konntest?
So könnte man es sagen, ja. Es war nur eine Idee, die ich irgendwie im Hinterkopf hatte. Stimmt schon, das war etwas seltsam.
Ein bisschen seltsam passt ja durchaus zu dieser Band.
Es ist ein sehr ungewöhnlicher Film, da hast du recht. Er ist ziemlich speziell. Aber gerade das macht ihn meiner Meinung nach interessant.
Aber warum hast du keinen Dokumentarfilm anstatt einer Art fiktionalen Spielfilm gedreht?
Das wäre die offensichtliche Wahl gewesen. Und ich wollte nicht die offensichtliche Wahl. Und ich denke auch für die Jungs, dass sie das Gefühl hatten, es sei zu früh in ihrer Karriere, einen Dokumentarfilm zu drehen. Sie hatten noch nicht einmal ein Album veröffentlicht. Daher wäre es sehr verfrüht gewesen, einen Dokumentarfilm über sie zu drehen. Sie waren mehr daran interessiert, etwas Erzählerisches zu machen. Sie sind sehr kreative Künstler, und ich glaube, meine Idee war so weit hergeholt und so unerwartete, dass es ihnen schwerfiel, der Versuchung zu widerstehen.
Wie viel von dem Film ist tatsächlich wahr? Ich habe gelesen, dass es mehr von ihrem Leben inspiriert ist als eine echte Nacherzählung zu sein.
Ich denke, es ist interessanter, das unausgesprochen zu lassen, aber das meiste davon ist wahr. Darin sind bestimmte Dinge enthalten, die Menschen, die sie kennen, passiert sind, Dinge, die eher in der Gemeinschaft als ihnen direkt passiert sind. Das ist der inspirierte Teil. Aber die meisten Kernereignisse der Geschichte sind ihnen selbst passiert. Ich habe sechs Monate lang mit ihnen in Kneipen gesessen und mit ihnen gesprochen. Es muss das längste und betrunkenste Interview der Welt sein. Und in diesem Prozess kamen diese Geschichten hervor. Einige der Dinge, die nicht wahr sind, sind rudimentärere Dinge, die den Film zusammenhalten. Wenn du die Geschichten von drei Protagonisten in kurzer Zeit erzählen möchtest, musst du ein paar Abstriche machen und die Wahrheit vielleicht ein wenig bearbeiten, damit die Zeitleiste funktioniert.
War es für dich schwierig, die Wahrheit so abändern, da du einen journalistischen Hintergrund hast?
Nein, ich meine, ich war kein sehr guter Journalist. Ich habe als Journalist auch ein paar Mal die Wahrheit umgeschrieben. Daher war das hier ganz einfache für mich. Ich verweise manchmal auf den Anfang von Fargo, der am Anfang behauptet, dass jedes Wort in diesem Film aus Respekt vor den Toten wahr sei. Aber nichts daran stimmt, es ist alles erfunden. Aber die Cohen-Brüder hatten offensichtlich das Gefühl, dass es als Erlebnis besser funktioniert, wenn das Publikum glaubt, es handele sich um eine wahre Geschichte. Sie hatten offensichtlich entschieden, dass ihre erste Priorität die Unterhaltung ist. Letztlich ist Filmemachen ohnehin eine große Lüge, oder? Wenn du eine Geschichte erzählst, einen Spielfilm machst, ist das alles eine große Lüge. Daher war es für uns am wichtigsten, ein Gefühl für die Gemeinschaft und die Politik und den Einfluss zu zeigen, den sie hatten und weiterhin haben. Das war wichtiger, als an den realen Ereignissen festzuhalten.
Warum hast du eigentlich den Journalismus aufgegeben und dich dem Filmemachen zugewandt? Warum warst du daran interessiert?
Ich war immer ein Autor. Damals an der Universität habe ich Drehbücher und ähnliches geschrieben. Schreiben war schon immer meine Leidenschaft. Aber ich kam von der Universität, brauchte einen Job und landete beim Journalismus. Das war eine Form des Schreibens, bei der ich schnell bezahlt werde, während ich ein Buch oder ein Drehbuch schreibe oder etwas, das länger braucht. Aber Journalismus ist definitiv eine andere Art des Schreibens. Ich persönlich habe den Journalismus nie wirklich geliebt. Ich habe mich aus den falschen Gründen darauf eingelassen und mich ziemlich schnell wieder entliebt. Aber es hat 20 Jahre gedauert, bis ich überhaupt meinen ersten Erzählfilm gedreht habe. Es hat also lange gedauert, hierher zu kommen.
Und wie war es für dich, überhaupt mit dem Filmemachen zu beginnen? Du hast gemeint, dass du schon früher geschrieben hast. Aber für den Film schreibst du nicht nur, du führst auch Regie. Das ist so, als müsste man zusätzlich zur verbalen Sprache auch eine neue Sprache lernen.
Ich hatte nie vor, Regisseur zu werden. Es ist mir nie wirklich in den Sinn gekommen. Eines wurde mir jedoch in den Jahren, in denen ich in meinen Zwanzigern versucht habe, etwas zu verwirklichen, klar: Als Autor hat man diesen Prozess, bei dem man versuchen muss, einen Regisseur zu finden, der dein Werk machen will. Und das ist, bevor du überhaupt einen Produzenten gefunden haben, und das ist, bevor du überhaupt etwas Geld aufgetrieben hast. Es gab also viele Torwächter. Es gab eine Menge „Jas“, die man brauchte, bevor man irgendwo ankam. Und selbst wenn man ein „Ja“ bekam, bekam man am Ende doch ein „Nein“. Das Ganze stürzte also ein, bevor es irgendwo ankam. Und so habe ich beschlossen, dass ich der Regisseur werde, denn das bedeutet, dass ich ein „Ja“ weniger brauche. Ich wollte einfach alle loswerden, die im Weg stehen könnten. Im Grunde bestand meine Taktik darin, jemand zu werden, der „Nein“ sagen konnte, und habe „Ja“ zu mir selbst gesagt.
Wolltest du damit Zeit sparen, nachdem so viel verschwendet hattest, um tatsächlich mit dem Filmemachen zu beginnen?
Ich würde nicht sagen, dass es Zeitverschwendung war. Manchmal spreche ich mit Studenten und Filmemachern, die frustriert sind, weil sie es nicht schaffen, einen Spielfilm zu machen. Und ich sage immer, man muss akzeptieren, dass es eine lange Reise ist. Es ist ein Marathon, kein Sprint. Du drehst deinen Film, wenn du dazu bereit bist. Als ich jünger war und meine Filme abgelehnt wurden, waren die Filme wahrscheinlich nicht gut genug. Vielleicht denkst du zu diesem Zeitpunkt, dass sie gut genug sind, und denkst, dass die Welt es auf dich abgesehen hat. Aber das ist es nicht. Die Welt will gute Filme. Die Welt will gutes Material. Wenn du etwas schreibst, das stark genug ist, wird es gemacht. Aber die meisten Dinge sind nicht stark genug. Selbst jetzt bekomme ich Drehbücher aus Hollywood zugeschickt, das angeblich zur Spitze der Branche gehört. Und sie sind nicht sehr gut. Es ist sehr schwierig, ein sehr gutes Drehbuch zu schreiben. Manchmal muss man ein Leben führen und die Lebenserfahrung haben, um das auf eine Seite bringen zu können. Natürlich gibt es Leute Anfang 20, die bei einem Film Regie führen. Aber selbst wenn man dieses Stadium schon früh erreicht, heißt das nicht zwangsläufig, dass es von Dauer sein wird. Die meisten Menschen sind desillusioniert und entmutigt, wenn sie abgelehnt werden. Wenn mich jemand nach meiner Meinung fragt, sage ich, man solle lernen damit umzugehen. Die Ablehnung als Antrieb nehmen, um besser zu werden. Ich habe immer geglaubt, dass ich diesen Film machen würde. Und ich würde nie aufhören, bis ich es getan habe, auch wenn es bis zu meinem 60. Lebensjahr oder so gedauert hätte.
Dann lass uns über die Band reden. Wir erfahren, dass sie für die jungen Iren wie eine Offenbarung ist, wenn sie sehen, dass jemand in ihrer Sprache rappt. Aber das gilt nicht für dich, weil Irisch nicht deine Sprache ist. Was hat dir stattdessen an ihnen gefallen?
Die drei waren sehr offen politisch eingestellt und schienen sich nicht wirklich um die Konsequenzen ihrer Äußerungen zu kümmern. Sie waren gerne kontrovers. Ich hatte das Gefühl, dass das in krassem Gegensatz zu der Art von PR- und verpackter Musik stand, die sehr auf Nummer sicher geht und allein der Karriere dient. Kneecap kümmerte sich überhaupt nicht darum. Und das fand ich einfach sehr erfrischend. Sie sind auch sehr talentiert und einzigartig in ihrem Sound. Ich mochte ihre Musik und wurde ein großer Fan. Und das bin ich bis heute. Ich habe überhaupt kein musikalisches Talent, aber die Produktion dieses Films kam dem Leben in einer Band so nahe wie nie zuvor.
Viele biografische Filme, sowohl Spiel- als auch Dokumentarfilme, sind etwas zu nah am Thema, weil sie immer zu den Menschen aufschauen, die sie porträtieren. Da du ein großer Fan von ihnen bist und die Jungs sich sogar selbst spielen, hast du jemals gedacht, dass du vielleicht etwas zu nah dran sind, um die Geschichte zu erzählen?
Mir war von Anfang an klar, dass ich kein anderthalb Stunden langes Loblied für sie singen würde. Der Film sollte keine PR für Kneecap sein. Ich wollte die Geschichte so erzählen, wie ich sie sehe. Die Zusammenarbeit war sehr kooperativ. Aber gleichzeitig hatten die drei großen Respekt davor, dass ich Dinge über sie sagen und zeigen wollte, mit denen sie sich nicht wohl fühlten. Sie haben mir vertraut, dass es wichtig ist, wenn sich der Film authentisch und real anfühlt. Ich freue mich, wenn sich das Publikum offenbar damit identifizieren kann, dass wir nicht versucht haben, ein Loblied für die Band zu drehen. Die Jungs machen im Film Dinge, die nicht lobenswert sind. Vieles davon ist illegal. Aber genau das macht sie aus.
Wollten du mit deinem Film das Publikum über diese Band informieren? Oder wolltest du die Leute unterhalten?
Ich denke, dass man beides machen kann. Der beste Weg, Menschen zu informieren, besteht darin, sie zu unterhalten. Es gibt sehr ernste Themen, die wir in dem Film ansprechen und die mit der indigenen Kultur und Sprache sowie mit generationsübergreifenden Traumata zu tun haben. All das waren wichtige Punkte, die wir ansprechen wollten. Aber gleichzeitig wussten wir, dass man die Leute unterhalten muss, wenn man sie auf diese Reise mitnimmt. Für meinen Stil des Filmemachens liegt Kneecap perfekt in der Mitte zwischen einem Arthouse-Film und einem großen kommerziellen Film. Ich schaue mir selbst Arthouse-Kino an, weil ich Filmemacher bin und es mir Spaß macht. Aber meine Freunde ärgern sich, wenn sie zwei Stunden lang einen Film sehen, bei dem im Grunde nichts passiert. Dann fällt ein Glas um und das war das Ende des Films. Damit erreichst du kein großes Publikum. Viele kommerzielle Filme wollen hingegen die Leute auf eine sehr plumpe Weise unterhalten. Ich denke, dass es da einen Mittelweg gibt. Das Publikum ist schlauer, als Hollywood es manchmal denkt. Und ich denke, Kneecap ist ein gutes Beispiel für einen Film, der etwas Anspruchsvolles sagt, es aber auf eine Weise tut, die einem Mainstream-Publikum gefallen kann. Filme können auf mehreren Ebenen genossen werden. Du kannst dir einen Film einfach ansehen, um Spaß zu haben. Oder du kannst ihn auf einer viel politischeren Ebene betrachten und versuchen, auch einige der tieferen Schichten davon zu erfassen.
Würden du deinen Film als politisch bezeichnen?
Ja, ich denke schon. Ich denke, man kann sagen, dass alles auf seine Art politisch ist. Schon allein das Sprechen der irischen Sprache in Nordirland ist ein politischer Akt, da die drei in dem Gebiet geboren wurden, das offiziell zum Vereinigten Königreich gehört. Sie haben die Sprache dieses Landes so grundlegend abgelehnt, dass sie ihr Leben in einer anderen Sprache leben. Und das ist ein sehr politischer Akt auf einer sehr grundlegenden Ebene, der sehr kraftvoll ist. Und deshalb denke ich, dass der Film von Natur aus politisch ist.
Wie war es für dich, einen Film in einer Fremdsprache zu schreiben und Regie zu führen?
Es war sicherlich eine Herausforderung. Ich habe ein paar Jahre lang Irischunterricht genommen und meinen Abschluss gemacht, sodass ich jetzt ein wenig Irisch spreche. Aber es war sicherlich ein schwieriger Prozess. Gleichzeitig hat es Spaß gemacht. Am Set musste ich immer einen Irisch-Sprecher dabei haben, weil ich die Feinheiten nie ganz verstehen konnte. Sich nicht darauf konzentrieren zu müssen, gibt einem wirklich die Freiheit, sich visuell auf die Dinge zu konzentrieren. Es ist, als würdest du einen deiner Sinne outsourcen.
Ist Filmemachen für dich universeller als das Schreiben eines Textes? Schließlich beeinflusst die Sprache immer irgendwie, was man denkt.
Ich bin ein Anhänger der Theorie, dass der perfekte Film keine Worte hat. Ich habe zum Beispiel in diesem Film lange mit dem Voice-Over gekämpft, weil ich Voice-Over in Filmen nicht wirklich mag. Es ist immer ein bisschen Betrug meiner Meinung nach. Ich dachte immer, man sollte in der Lage sein, seine Geschichte visuell und mit Dialogen zu erzählen. In dem Moment, in dem du anfängst, es erklären zu müssen, dann bist du nicht gut genug darin, die Bilder zu nutzen. Mir wurde aber irgendwann klar, dass in diesem Film so viel passiert, dass du eine Stimme brauchst, damit er funktioniert. Ich mag immer noch keine Voice-Overs, aber bei manchen Projekten ist das einfach nötig.
Letzte Frage: Was sind deine nächsten Projekte? Gibt es etwas, worüber du sprechen kannst?
Ja, ich habe ein paar Dinge, an denen ich arbeite. Es gibt ein Projekt namens Bad Bridget, ein Buch, das ich letztes Jahr optioniert habe, über die Frauen, die Irland während der Hungersnot verlassen haben und nach New York ausgewandert sind. Und dann gibt es noch ein Projekt wie eine Sozialsatire, das in der Karibik spielt und an dem ich auch arbeite.
Vielen Dank für das Interview!
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