Rote Sterne überm Feld
© Carlos Vasquez / Amerikafilm

Rote Sterne überm Feld

Inhalt / Kritik

Tine (Hannah Ehrlichmann) ist Mitglied einer anarchistischen Kunstgruppe und muss nach ihrer letzten Guerilla-Aktion – es wurden die deutschen Flaggen auf dem Reichstagsgebäude mit roten Fahnen ausgetauscht – in ihrem Elternhaus im mecklenburg-vorpommerschen Bad Kleinen abtauchen. Selbst die Tagesschau berichtet: Der Stunt könnte als terroristischer Akt gewertet werden, womit ihr die Strafverfolgungsbehörden dicht auf den Fersen sind. Tines schrulliger Vater Uwe (Hermann Beyer), ein passionierter Junge-Welt-Leser, nimmt sie gerne auf. Durch das Leben in der ostdeutschen Provinz wird Tine nicht nur mit ihren Wurzeln konfrontiert, sondern findet sich inmitten einer Moorleichen-Murder-Mystery wieder, deren versuchte Aufklärung sie durch knapp 100 Jahre bundesdeutscher Geschichte katapultiert.

Viele Stile verderben den Brei

Rote Sterne überm Feld, bei dem Laura Laabs für Regie und Drehbuch verantwortlich ist, positioniert sich also als politischer Film, der nach einer langen und beschwerlichen Produktionszeit von ca. einer Dekade beim Max Ophüls Preis 2025 seine Weltpremiere absolvieren durfte. Bereits Titlescreen, Opening Credits und Voiceover zeigen: Hier werden diverse Themen bedient. In einem Albtraum für jede*n Grafikdesigner*in schießen innerhalb weniger Minuten ungefähr 62 Fonts über das Bild, eine sich mit einer Kinderstimme abwechselnde weibliche Stimme trägt in einer Art Poetry Slam bedeutungsschwangere Sätze zu klimpernden Synthklängen vor, und auch die vintage-anmutende Aspect Ratio schreit mit herausgestreckter Zunge: „Seht her, ich bin richtig crazy!“

Ergänzt wird diese visuelle Experimentierfreudigkeit mit wackliger Kameraführung, uninspiriert-glattpolierten Bildkompositionen und jeweils einem Schnitt nach durchschnittlich drei Millisekunden. Von Anfang an schafft es Rote Sterne überm Feld also nicht, einen prägnanten, eigenen Stil zu finden, sondern verwurstet innerhalb kürzester Zeit sämtliche Trends, die derzeit durch Filmschulen geistern. Dies kreiert direkt eine Distanz zum Gezeigten, die durch das mehrmalige Durchbrechen der vierten Wand oder von in schwarz-weiß getauchten Flashback-Szenen verstärkt wird, da diese Elemente gefühlt willkürlich eingeworfen werden.

Abseits der Kritik an der Ästhetik wird es leider auch inhaltlich nicht besser. Tine schiebt Paranoia, da sie sich durch das bloße Austauschen von Flaggen in der Tradition linksterroristischer Gruppen sieht, gar der Vorwurf der Volksverhetzung steht im Raum. Darauffolgend erstreckt sich ein über zwei Stunden dauernder Schwall an zusammengewürfelten Ereignissen, die maximal in der drastischen Darstellung der plötzlich aus einem Gewässer gezogenen Leiche schockieren, sonst aber allein aufgrund ihrer schieren Menge abstumpfend wirken. Die gähnende Bedeutungslosigkeit ist in jedem Gespräch, in jedem Charakter, in jedem angedachten Stilmittel zu spüren. Mal äußern sich die Protagonist*innen voller ernsthaftem Pathos, mal nehmen sie sich gegenseitig bis zur Selbstaufgabe auf die Schippe.

Vollkommen durchgenudelte Allegorien wie zum Erlkönig (Fun Fact: dessen Rolle nimmt Till Lindemann ein – wie kann ihm hier eine Bühne geboten werden?) oder zum letzten Abendmahl (inklusive Mettigel-Etagere und Jagdwurst-Charcuterie) geben sich die Klinke in die Hand. Bestehender, gefährlicher Rechtsradikalismus in der ostdeutschen Pampa wird mithilfe der Subtilität eines Vorschlaghammers karikiert: Ach, der Bursche mit dem Deutschlandtattoo auf dem Hals (in Frakturschrift, versteht sich) und diversen verfassungsfeindlichen Symbolen auf dem Körper ist strammer Nazi? Mensch, dabei verhält er sich schon fast sympathisch, wenn er mit seinem Compañero in der Küche Pep rotzt und politikwissenschaftliche Analysen zur „extremen Mitte“ vorträgt.

Halbwegs vernünftige Ansätze, falsche Schlüsse

Sowohl das ansprechende Setting einer zünftig-grotesken Einöde voller psychotischer Landeier als auch die berechtigte Kritik am derzeitigen politischen Zustand Deutschlands sowie am Umgang mit der dunklen Vergangenheit bilden in der Theorie ein dankbares Fundament, das zumindest etwas mehr Differenzierung vertragen hätte. Stattdessen hangelt sich Rote Sterne überm Feld im Stakkato vom rebellischen Politdrama über einen Crime-Thriller hin zur absoluten Auflösung jeglicher gesellschaftlichen Relevanz. Gerade in einer Zeit, die politisch so aufgeladen ist wie seit Baseballschlägerjahren nicht mehr, in der eine rechtsextreme Partei 20% der Wählenden überzeugt, ist die Aussage dieses Films unverantwortlich.

Als zeitlich unglückliches Beispiel dafür sei die zündende Idee Tines zu nennen, als Zeichen gegen den Greenwashing-Kapitalismus ein Windrad hochzujagen. Das Hufeisen vervollständigt sich hier von selbst; so sprach Alice Weidel erst kürzlich von den „Windmühlen der Schande“, die sie „niederreißen“ werde. Selbst wenn es die Absicht des Films sein sollte, schlussendlich irgendwie linke Positionen zu beziehen, erweisen Taten und Auftreten der in einer Delulu-Welt zu leben scheinenden Hauptrolle der Sache einen Bärendienst. Einer der Gründe für den Rechtsruck in Deutschland ist eben auch: Linke können leider wirklich uncool sein, man.



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Rote Sterne überm Feld
fazit
Es kann "Rote Sterne überm Feld" nicht vorgeworfen werden, dass kein Emotionalisierungsprozess stattfände – im Gegenteil, das Langfilmdebüt von Laura Laabs präsentiert grinsend ein vielfältiges Bouquet an Negativität, das noch über mehrere Seiten hinweg analysiert werden könnte. Vielleicht ist am Ende ja alles eine post-ironische Subversion, ist auch egal, so wie sowieso alles, was hier passiert. Nur der appetitanregende Beauty-Shot vom Mettigel bleibt im Gedächtnis.
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