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Eigentlich wollte Sebastian Bootz (Felix Klare) nur ganz gemütlich die Filmpremiere in Stuttgart anschauen, als Karin Urbanski (Anna Schimrigk) und Steffen Lippert (Christoph Franken) die Waffen zücken und die Menschen im Saal bedrohen. Dabei kommt es zur Panik, ein Security-Mitarbeiter stirbt, Lippert wird verletzt. Zwar gelingt es einigen, in dem Tumult zu fliehen. Der Rest wird jedoch als Geisel genommen, darunter auch Bootz. Immerhin ist es diesem zuvor gelungen, seinen Kollegen Thorsten Lannert (Richy Müller) zu informieren. Dieser gehört dann auch zu einem Einsatzkommando, das irgendwie versucht, die Situation wieder unter Kontrolle zu kriegen. Doch das ist gar nicht so leicht, da zunächst niemand weiß, was die beiden vorhaben und was sie antreibt …
Kampf gegen das System
Dass sich der Tatort gern mal an gesellschaftlichen Themen versucht, ist kein Geheimnis. Zum Leidwesen von Teilen des Publikums werden dann Fragen und Entwicklungen aufgegriffen, die unser Land oder gar weltweit diskutiert werden. In Restschuld etwa erzählte man von Menschen, die sich hoffnungslos verschuldet haben, und einem Inkasso-Unternehmen, das von diesem Leid lebt. In Borowski und das hungrige Herz erfahren wir von Leuten, die sich in ihrer Einsamkeit in viel Sex stürzen, womit Abgründe enthüllt werden sollten. Mit Verblendung geht es nun ins Politische, wenn es um rechte Verbrecher geht, die mit viel Gewalt gegen die Gesellschaft kämpfen und ein System, das es so gar nicht gibt und doch als Feindbild herhalten muss.
Wobei der Film letztendlich aus zwei Teilen besteht. Der eine ist eine klassische Geiselnahme, wenn die Menschen in dem Kino mit Waffengewalt festgehalten werden. Wie so oft bei deutschen Krimis ist die Polizei mal wieder unmittelbar involviert, weil „zufällig“ der Kommissar gerade in dem Kino ist. Das darf man konstruiert finden. Auch sonst sticht Tatort: Verblendung nicht wirklich bei diesem Thrillerpart hervor. Klar, solche Szenarien sind prinzipiell immer mit einer gewissen Grundspannung verbunden. Dass Bootz etwas geschieht, ist zwar nahezu ausgeschlossen. Aber es gibt genügend andere, die erschossen werden können. Dennoch, mehr als Durchschnitt ist dieser Aspekt nicht, als reinen Genrebeitrag muss man den Film nicht unbedingt sehen.
Plakativ, aber spannend
Interessanter ist der Part um die politischen Überzeugungen. Tatort: Verblendung warnt nicht einfach vor den Gefahren rechter Gewalt, sondern zeigt, wie leicht sich die Menschen in irgendwelche Geschichten verrennen. Vor allem lassen sie sich Blödsinn erzählen und bekommen gleichzeitig suggeriert, zu den Auserwählten zu gehören, die die Wahrheit erkannt haben. Was der Film dabei nicht leistet: Plausibel aufzuzeigen, warum jemand empfänglich ist für solche Verschwörungstheorien. Wo beispielsweise Schlafschafe, das von solchen Theorien in Zusammenhang mit Corona erzählte, den Figuren mit echtem Interesse begegnete und für Verständnis warb, da nimmt man das hier mehr oder weniger als gegeben. Es gibt diese Leute einfach.
Spannend ist der 1290. Teil des ARD-Dauerbrenners dabei aber durchaus. Die Gruppendynamik, die beklemmende Atmosphäre, das Ringen um die Wahrheit, das macht Tatort: Verblendung zu einem der besseren Beiträge des Sonntagabendkrimis der letzten Zeit. Hinzu kommt die perfide Perversion einer Demokratie, wenn die Geiseln zu unmenschlichen Entscheidungen genötigt werden. Auch wenn man sich in mancherlei Hinsicht mehr Tiefgang hätte erwarten dürfen und einiges plakativ bleibt, ist der Film doch einer, der nicht ganz spurlos an einem vorbeigeht. Zumindest darf man wieder einmal daran verzweifeln, wie ein Teil der Gesellschaft verlorengeht und man selbst mehr oder weniger hilflos dabei zusieht, da Worte allein abprallen und nur Gewalt etwas auszurichten scheint.
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