In den letzten Jahren hat es eine ganze Reihe von Dokumentarfilmen gegeben, die sich mit dem Klettern oder dem Bergsteigen befasst haben. Das bekannteste Beispiel dürfte dabei das mit einem Oscar ausgezeichnete Free Solo sein, das uns den Kletterstar Alex Honnold näherbrachte. Die unendliche Weite des Himmels wiederum nahm uns mit nach Alaska und in eisige Höhen. Mit The Last Expedition steht nun ein weiteres Werk auf dem Kinoprogramm, welches in diesem thematischen Umfeld angesiedelt ist. Erneut geht es dabei um einen einzelnen Menschen. Genauer ist es Wanda Rutkiewicz, der hier ein spätes Denkmal erstellt wird. Wer sich nicht mit Alpinsport auskennt: Es handelt sich bei ihr um eine polnische Bergsteigerin, die zu den wichtigsten Frauen in diesem Bereich zählte. Sie war die erste Europäerin auf dem Mount Everest, bestieg am Ende acht der 14 Achttausender.
Späte Spurensuche
Vermutlich wären es noch mehr gewesen, doch 1992 ist Rutkiewicz im Himalaya spurlos verschwunden. Ein Kollege traf sie noch auf dem Weg zum Gipfel, danach wurde sie nie wieder gesehen. Dieses mutmaßliche Unglück wird natürlich auch hier angesprochen, The Last Expedition trägt den Titel nicht ohne Grund. Eine Antwort auf die Fragen, die seit über drei Jahrzehnten gestellt werden, findet sich hier aber nicht. Wer auf neue Erkenntnisse hofft, spannende Spuren und Hypothesen, wird enttäuscht. Regisseurin Eliza Kubarska, die uns in dem Dokumentarfilm Die Wand der Schatten schon einmal in die Bergwelt Nepals mitnahm, hat gar nicht vor, sich an den Spekulationen zu beteiligen, die sich seither um ihre verschwundene Landsfrau ranken.
Anstatt den Tod rekonstruieren zu wollen, macht sie es sich zur Aufgabe, das Leben vor den Augen des Publikums zusammenzusetzen. Das ist natürlich immer schwieriger, wenn die Person schon seit vielen Jahren tot ist und man keine Möglichkeit hatte, sie kennenzulernen. Also greift Kubarska zu einem bewährten Mix. Auf der einen Seite befragt sie Menschen, welche die Protagonistin kannten oder anderweitig etwas zu ihr zu sagen haben. Unter anderem spricht sie mit Bergsteiger-Legende Reinhold Messner und ihrer Schwester. Auf der anderen Seite kommen in The Last Expedition historische Aufnahmen zum Einsatz. Immer wieder sehen wir die Frau in alten Videofilmen, was natürlich dabei hilft, sich einen Eindruck von ihr zu machen.
Das Unglück abseits der Berge
Noch wertvoller sind jedoch die Tonaufnahmen. So hat Rutkiewicz immer wieder Interviews gegeben oder anderweitig ihre Gedanken festgehalten. Auf diese Weise nähern wir uns in The Last Expedition nach und nach dem Menschen dahinter an, erfahren von ihren privaten wie beruflichen Kämpfen. Nicht nur, dass sie lernen musste, sich in einer absoluten Männerdomäne durchzusetzen, in der es Frauen lange schwer hatten. Abseits der Berge war sie ebenfalls nicht vom Glück verfolgt. Gerade Beziehungen waren schwierig. Man muss schon damit klarkommen können, wenn die eigene Partnerin oft lange weg ist und sich in Lebensgefahr bringt, ohne dass man genau wüsste warum.
Auch darauf bekommt man keine wirkliche Antwort. Aber das muss kein Manko sein. The Last Expedition ist das Porträt einer eigenwilligen Frau, die sich nicht an Regeln hielt und die gerade dadurch auch faszinierend war. Im Vergleich zu anderen Dokumentarfilmen aus diesem Segment sieht man zwar nicht so wahnsinnig viel vom Bergsteigen selbst, was manche enttäuschen könnte. Sehenswert ist das Werk aber auch so und die überfällige Würdigung eines Menschen, der Erstaunliches geleistet hat.
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