Tim Fehlbaum am Set des Thrillerdramas "September 5" (© Constantin Film)

Tim Fehlbaum [Interview 2025]

Der 5. September 1972 war ein rabenschwarzer Tag in der Geschichte des Sports. Eigentlich waren sie aus aller Welt in München zusammengekommen, um im Rahmen der Olympischen Spiele miteinander zu wetteifern und die Gemeinschaft zu feiern. Doch das war vorbei, als eine Gruppe palästinensischer Terroristen die israelische Mannschaft als Geisel nahm. Eine Reihe von Filmen wurden seither gedreht, die sich dieses Vorfalls annahmen, vor allem im dokumentarischen Bereich. Das Thema ist also gut bekannt. Der deutsche Film September 5 – The Day Terror Went Live, der für einen Golden Globe als bester Film im Dramabereich nominiert war, nähert sich dem Ganzen jedoch auf eine ganz eigene Weise. Anstatt die Geiselnahme oder auch den Befreiungsversuch zu zeigen, geht es hier um ein US-amerikanisches Nachrichtenteam, das eigentlich über den Sport berichten wollte und auf einmal mit dem Terroranschlag konfrontiert wird. Dabei müssen sie nicht nur technische Herausforderungen meistern, sondern auch moralische Fragen beantworten. Was dürfen wir davon zeigen? Über diese und weitere Themen haben wir uns zum Kinostart am 9. Januar 2025 mit Regisseur Tim Fehlbaum unterhalten.

Könntest du uns etwas über die Entstehungsgeschichte von September 5 erzählen? Wie bist du darauf gekommen, einen Film über dieses Thema zu drehen?

Ich bin das erste Mal mit der Thematik in Berührung gekommen, als ich den Dokumentarfilm One Day in September von Kevin Macdonald gesehen habe, ein wirklich toller Film. Ich habe auch in München studiert und wir haben viele Studentenfilme im Olympiadorf gedreht, da ist das noch einmal anders präsent. Wir haben zunächst ziemlich allgemein recherchiert, was an diesem Tag passiert ist. Das ging wirklich in alle Richtungen. Dabei ist uns immer mehr bewusst geworden, was für ein entscheidender Tag das für die Mediengeschichte war. Ein richtiger Wendepunkt. Wir hatten dann ein Recherchegespräch mit Geoffrey Mason, der damals als junger TV producer im Kontrollraum von ABC Sports mit dabei war, und das war so spannend und so interessant, dass wir entschieden haben, einen Film nur aus dieser Perspektive zu erzählen. Das ist gerade auch aus einem heutigen Blickwinkel wichtig, weil es einen dazu bringt, über den eigenen Konsum von Medien und Nachrichten nachzudenken.

War es denn schwierig, an diese Informationen heranzukommen? Material über den Tag und die Geiselnahme gibt es sicherlich reichlich. Dokumentarfilme über die Arbeit hinter den Kulissen wird es eher weniger geben.

Das stimmt. Aber wir hatten eben dieses große Glück, mit Geoffrey Mason jemanden zu haben, der das von Anfang an miterlebt hat. Dann haben wir mit einem der Runner gesprochen, die das Material an der Polizei vorbeigeschmuggelt haben. Außerdem war da noch Sean McManus, der Sohn von Jim McKay, der als Moderator die Geschichte live begleitet hat. Der war damals als Teenager in dem Kontrollraum. Von diesen konnten wir die Erinnerungen aus erster Hand verwenden. Hinzu kamen die Biografien von Roone Arledge und Jim McKay, die diesen Tag als einschneidendes Erlebnis beschrieben haben. Mit die wichtigste Quelle waren außerdem die Original-Bänder von der ABC. Es ist zwar nicht ganz klar, ob wir wirklich alles an Material sehen konnten, was es gab. Aber es war auf jeden Fall eine Menge.

War diesen Leuten damals schon bewusst, dass sie gerade Geschichte schreiben?

Nein, das glaube ich nicht. Ich habe Geoffrey Mason bei unserem ersten Gespräch damals eine ähnliche Frage gestellt. Er meinte, dass sie gar nicht groß die Zeit hatten, wirklich zu reflektieren, weil sie so sehr damit beschäftigt waren, von dem zu berichten, was gerade in unmittelbarer Studionähe passiert.

Die Medien haben sich in den letzten 50 Jahren natürlich sehr gewandelt. Das Fernsehen hat beispielsweise stark an Bedeutung verloren. Warum ist das Thema dennoch für die heutigen Medien relevant?

In einer Zeit, in der jeder eine Kamera und einen Fernseher in der Hosentasche hat und damit Zugriff zu allem, was gerade passiert, ist es interessant zu sehen, wie es war, als das erste Mal live über dieser Art berichtet wurde.

Hat sich durch die Beschäftigung mit dem Thema deine eigene Einstellung zu den Medien verändert?

Gute Frage. Auf jeden Fall ist mein Respekt gewachsen, zum einen für das Live-Fernsehen und was alles damit verbunden ist, aber auch ganz allgemein für das Berufsfeld der Berichterstattung. Das ist so wichtig und so komplex und wir sind uns dessen oft nicht bewusst.

September 5
In „September 5“ muss das Team technische Probleme lösen, aber auch moralische Fragen klären. (© Constantin Film)

Wie schwierig war es, die ganze Ausrüstung aus der damaligen Zeit zu bekommen? Bei Alltagsgegenständen wie Autos oder Kleidung dürfte das noch vergleichsweise einfach sein. Aber wer hebt denn Fernsehequipment auf?

Mehr Leute, als du denken würdest. Natürlich hast du recht, dass es bei Autos und Kleidung einfacher ist. Aber es gibt wirklich passionierte Sammler von Geräten aus dieser Zeit. Szenenbildner Julian Wagner und sein Team sind auch viel in die Keller von Fernsehstudios gegangen, wo noch alte Maschinen rumstanden. Und wir haben teilweise sogar Museumsstücke verwendet, die Walkie-Talkies zum Beispiel. Das haben wir dann alles zusammengetragen. Am Ende hatten wir alles, was es in Europa noch gibt von dieser Technik, in einem Raum. Uns war es wichtig, eben weil wir einen Film über die Medien machen wollten, diese akkurat darzustellen. Ich habe selbst vor dem Dreh auch viel Recherche betrieben, indem ich in Kontrollräume gegangen bin und geschaut habe, wie die Abläufe heute sind. Wir hatten auch technische Beratung, da war einer, der vom Sportfernsehen kommt und der noch die Welt von damals kennt. Ein paar von den Leuten, die du im Hintergrund siehst, sind Leute, die tatsächlich in Kontrollräumen gearbeitet haben oder arbeiten, damit das möglichst authentisch dargestellt wird.

Und wie hat sich das für euch angefühlt, von all dieser Geschichte umgeben zu sein?

Das war schon überwältigend. Teilweise mussten auch zwei dabei sein, wenn die Bandmaschine liefen, weil das so heikel war. Denn wir wollten diese Geräte nicht einfach nur rumstehen haben, sondern diese auch im Einsatz zeigen, damit sich das griffig anfühlt. Das Publikum sollte sehen, dass es auch eine Auswirkung hat, wenn wir einen Knopf drücken.

Dein Film zeigt dabei nicht nur, was gesendet wurde, sondern stellt auch die Frage, was überhaupt gezeigt werden darf. Gibt es für dich eine Grenze, worüber Medien berichten sollten?

Berichten bin ich mir nicht sicher. Aber man muss sich auf jeden Fall darüber unterhalten, was gezeigt werden soll. Eine konkrete Antwort kann ich dir aber auch nicht geben. Das Interessante an unserer Geschichte ist, dass Leute diese Fragen beantworten mussten, die überhaupt nicht dafür ausgebildet waren oder Erfahrungen hatten. Die haben gerade noch über einen Schwimmwettbewerb berichtet und mussten sich dann mit einer Geiselnahme beschäftigen.

Und gibt es etwas, wo du für sich selbst sagen würdest: „Das will ich nicht sehen“?

Ja. Ich finde es gut, dass heute vorher schon gewarnt wird, wenn etwas Schlimmes gezeigt wird. Meistens entscheide ich mich dafür, das dann nicht anzuschauen.

Bei Filmen hast du ähnliche Diskussionen. Da wurde schon immer darüber gestritten, was gezeigt werden darf. Wie siehst du das?

Das ist eine gute Frage. Wir wurden auch selbst bei unserem Film damit konfrontiert: Sollten wir die Gewalt zeigen bei der Geiselnahme? Am Ende haben wir uns aber dagegen entschieden, weil bei der Ausstrahlung damals auch nicht davon zu sehen war und wir uns möglichst nah an dieser Perspektive orientieren wollten. Im Film geht es auch viel darum, was man nicht sieht und was den Kameras vorenthalten bleibt.

Als wir uns das letzte Mal über Tides unterhalten haben, ging es auch um gesellschaftliche Themen. In September 5 jetzt wieder. Ist das etwas, das du gezielt suchst?

Ich glaube, dass jeder Film auf seine Art gesellschaftliche Themen aufgreift. Es ist spannend, wie gerade auch historische und futuristische Filme etwas über unsere heutige Gesellschaft sagen. Insofern glaube ich schon, dass das mit eine Aufgabe ist von Filmemachern und Filmemacherinnen.

Es gibt aber auch welche, die nur unterhalten wollen. Wenn du dir weihnachtliche Liebeskomödien anschaust, haben die eher selten einen gesellschaftlichen Anspruch.

Das stimmt schon. Aber selbst dann sind sie ein Spiegel der Gesellschaft. Grundsätzlich ist es auch legitim, wenn jemand in erster Linie unterhalten möchte. Ich könnte mir das bei einem zukünftigen Film schon gut vorstellen. Bei unserem Thema wäre es aber vermessen gewesen und wir wären der Geschichte nicht gerecht geworden.

Kommen wir zum Casting: Nach welchen Kriterien seid ihr vorgegangen? Wonach habt ihr gesucht?

Geoffrey Mason hatte mir davon erzählt, was für eine einzigartige Dynamik sie in dem Team hatten. Und das habe ich beim Casting versucht abzubilden. Ansonsten war der Casting-Prozess ganz klassisch. Wir hatten verschiedene Ideen, gerade auch zu den historischen Figuren, und haben uns dann angenähert. Wobei wir natürlich das Glück hatten, dass keine dieser historischen Figuren so bekannt ist, dass wir bestimmte Erwartungen erfüllen mussten. Das einzige, was klar war: Wir können nicht Jim McKay neu besetzen. Das mussten dann schon die Originalaufnahmen sein. Es war nicht einfach die Lizenzierung dieses Materials zu bekommen, aber dank der unermüdlichen Leistung der Produktion und der Unterstützung von Geoffrey Mason hat es geklappt.

Wie schwierig war es allgemein, diese Vergangenheit wiederaufleben zu lassen?

Eine Herausforderung war natürlich, dass wir uns auf reale Begebenheiten beziehen, diese aber für einen Film verdichten mussten, da sich die Ereignisse über viele Stunden hinweg zogen. Da die richtige Balance zu finden, das war nicht einfach. Eine besondere Herausforderung war auch, diese Monitorwand zu bedienen, weil wir wollten, dass darauf echte Bilder zu sehen sind. Wir wollten diesen Zeileneffekt haben, diese Pixel. Und diese alten Monitore mit unserer modernen Technik zu verbinden, da bin ich echt dankbar, dass wir ein so tolles Team hatten.

September 5 ist dabei dein erster Film, der so sehr in der Realität verhaftet ist, nachdem Hell und Tides das nicht waren. Wie war das für dich?

Der Prozess war für mich höchst spannend. Allein schon diese ganze Recherchearbeit zu dem Tag allgemein, aber auch der Medienthematik, das war eine sehr bereichernde Erfahrung für mich. Ich könnte mir auch gut vorstellen, als nächstes wieder etwas Historisches zu machen und kein Science-Fiction.

Vielen Dank für das Interview!

Zur Person
Tim Fehlbaum wurde 1982 in Basel, Schweiz geboren. Von 2002 bis 2009 studierte er Regie an der Hochschule für Fernsehen und Film München und drehte während dieser Zeit mehrere Kurzfilme. 2011 erschien sein erste Langfilm Hell. Der Endzeitthriller mit Hannah Herzsprung und Lars Eidinger erzählt von einer ausgetrockneten Erde, bei der ein Aufenthalt unter freiem Himmel schnell zum Tod führt. 2021 folgte sein zweiter Spielfilm Tides über eine Erde, die unter Wasser steht. 2024 feierte September 5 – The Day Terror Went Live seine Premiere in Venedig und wurde später bei den Golden Globes als bestes Drama nominiert.



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