Tracing Light
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Tracing Light

Tracing Light
„Tracing Light“ // Deutschland-Start: 16. Januar 2025 (Kino)

Inhalt / Kritik

Wenn Filmemacher Thomas Riedelsheimer sich morgens rasiert, erlebt er manchmal ein faszinierendes Naturschauspiel. Die aufgehende Sonne trifft dann auf den abgeflachten Rand seines Badezimmerspiegels und es beginnt Showtime. Regenbogenfarben wandern durchs Waschbecken, erobern den Raum, flackern umher und tauchen verschiedene Wände und Gegenstände in Streifen von Rot, Orange, Gelb, Grün und Blau. Das allerdings ist nicht der wichtigste Grund, warum der Regisseur einen Dokumentarfilm über das Phänomen Licht drehen wollte, nach der Erkundung von Zeit (Rivers and Tides, 2000; Leaning into the Wind – Andy Goldsworthy, 2017) und der Reflexion über Klang (Touch the Sound, 2004). Ohne Licht gäbe es kein Kino. Mehr noch: Die Rätsel, die das Licht aufgibt, drehen sich um die Ursprünge des Universums und des Lebens als solchem. In seinem neuen Film hat sich Thomas Riedelsheimer quasi in das Licht verliebt. Er feiert es mit jeder Einstellung.

Entschleunigte Sonnenzeit

Eine „Camera obscura“ ist ein dunkler Raum mit einem Loch in einer Wand, durch die das Licht ein photographisches Bild der Außenwelt an die gegenüberliegende Wand wirft. Die britische Landschaftskünstlerin Julie Brook nutzt dieses Prinzip nicht als technische Errungenschaft, sondern für eine Naturerfahrung der anderen Art. Wenn sie den kleinen runden Steinbau (mit eben jenem Loch) auf einer unbewohnten Insel der Äußeren Hebriden betritt, verläuft die Zeit für sie langsamer als im normalen Alltag. Die Sonnenstrahlen, die durch Wolken brechen, lassen die Wiesen und Hügel um eine Meeresbucht in unvergleichlicher Intensität leuchten. Julie Brook arbeitet in ihren Naturkunstwerken ganz häufig mit dem Zauber von Hell und Dunkel, von Feuer und Wasser. Aber was Licht eigentlich ist, versteht sie nicht wirklich – und will es auch nicht. Anders die Künstlerduos Ruth Jarman und Joe Gerhardt (auch bekannt als Semiconductor) sowie Johannes Brunner und Raimund Ritz: Sie wollen wissen, was es mit Lichtgeschwindigkeit, Photonen und Quanten auf sich hat. Die beiden Briten reisen dazu zur Universität Glasgow, die Deutschen zum Max-Planck-Institut in Erlangen.

Tracing Light soll nichts erklären“, schreibt Filmemacher Thomas Riedelsheimer in seinem Regiekommentar. Der Satz kann als eine Art Sehanleitung dienen: als Warnung, die Aussagen der hochspezialisierten Wissenschaftler in ihren Gesprächen mit den Künstlern nicht in ihrer fachlichen Komplexität nachvollziehen zu wollen. Sondern eher auf die Art der wechselseitigen Kommunikation zu achten. Wenn etwa Brunner und Ritz von den Erlanger Forschern erfahren, dass Licht zur selben Zeit an verschiedenen Orten sein kann, dann ist die Ratlosigkeit der wissenschaftlichen Laien mit Händen zu greifen. Wenn aber die Künstler von den Experten wissen wollen, was mit dem Licht passiert, das von einem schwarzen Loch geschluckt wird, dann gerät die Wissenschaft ebenfalls an eine Grenze ihrer Möglichkeiten. Nicht auf das Verstehen kommt es in dieser Dokumentation an, sondern auf das Staunen. „Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle“ – dieses Zitat von Albert Einstein eröffnet den Film.

Schweifenlassen der Sinne

Die Schönheit des Lichts wird daher in jeder der 100 Filmminuten zelebriert. Wie von einem Magneten fühlt sich die Kamera (ebenfalls Thomas Riedelsheimer) von Scheiben und Spiegeln mit ihren Lichtspielen angezogen. Wie im Sog zieht es sie zum Wasser mit seinem Glitzern hin. Wie ein Frierender sucht sie das Feuer. Natürlich bedient sich Tracing Light darüber hinaus bei den Lichtinstallationen bildender Künstler, aber der Film begegnet ihnen zugleich auf Augenhöhe, als Kunstwerk eigenen Rangs. Dazu trägt nicht zuletzt seine selbst magische, träumerische Machart bei, die das Publikum nicht mit Informationen überfrachtet, sondern viel Raum zum Assoziieren und zum Schweifen der Sinne öffnet. Und die natürlich die Freude am Schönen als solchem nicht zu kurz kommen lässt, jenseits rationalen Begreifens oder sonstiger Zweckorientierung. Gerade in solchen Momenten erscheint Riedelsheimer als Geistesverwandter des russischen Dokumentarfilmers Victor Kossakovsky (Architecton, 2024).

Das Phänomen Licht mag Forscher an ihre Grenzen bringen. Aber in der Kunst sind Geheimnisse ein Nährboden für Fantasie. Das Duo Brunner/Britz zum Beispiel imaginiert sich über das Licht hinaus in dessen Gegenteil hinein, das Nicht-Licht oder die absolute Dunkelheit. Es entwirft für die imposante, ganz in Weiß gehaltene Eingangshalle des Max-Planck-Instituts eine riesige Kugel, die es unter die raumfassende gläserne Decke hängt. Die eine Hälfte der sich drehenden Kugel ist ebenfalls weiß, die andere aber rabenschwarz, bestrichen mit einer besonders lichtschluckenden Farbe. So hält das schwarze Loch Einzug in die heiligen Hallen der Lichtforscher. Die sehen den Dialog mit den Kreativen als heiter stimmende Anregung. Dass sie trotz ihrer Expertise immer wieder auf die Schönheit des Geheimnisvollen stoßen, wird ihnen nun beim Gang ins Labor tagtäglich vor Augen geführt.

Credits

OT: „Tracing Light“
Land: Deutschland, UK
Jahr: 2024
Regie: Thomas Riedelsheimer
Drehbuch: Thomas Riedelsheimer
Musik: Fred Frith, Gabby Fluke-Mogul
Kamera: Thomas Riedelsheimer

Bilder

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Tracing Light
fazit
„Tracing Light“ befasst sich auf stimmungsvolle Weise mit dem Thema Licht. Filmemacher Thomas Riedelsheimer huldigt dem Stoff, dem sich unter anderem das Kino verdankt, mit sinnlicher Verspieltheit und sorgfältig komponierten Bildern. Eine Liebeserklärung, bei der mit der Sonne eine ganze Welt aufgeht.
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