
Eine namhafter Regisseur (Mohammad Aghebati) will „Tausendundeine Nacht“ verfilmen und sucht dafür eine passende Besetzung. Insbesondere die Rolle der Scheherazade ist von großer Wichtigkeit für ihn und das Projekt, sodass es nicht wundert, als sich eine Vielzahl von Schauspielerinnen und Laiendarstellerinnen für die Rolle interessiert. Eine nach der anderen tritt zum Filmemacher in das große Studio, in dem das Casting stattfinden soll, darunter eine junge Frau, die sich von zu Hause davon gestohlen hat und sogar bereit ist, auf der Straße zu schlafen, wenn es bedeutet, dass sie die Rolle kriegt. Eine andere Kandidatin ist ausgerechnet die Ex-Frau des Regisseurs und es dauert nicht lange, bis das Casting ausartet in ein Streitgespräch über ihre Beziehung, ihre Trennung und diverse Anschuldigungen. Mehr und mehr scheint der Regisseur das eigentliche Casting zu vergessen und sich für die Frauen vor seiner Kamera zu interessieren und was zunächst mit ein paar bizarren Rollenspielen begann, wird zu einer Art Machtspiel.
„Sie war eine große Geschichtenerzählerin.“
2015 hat sich Regisseurin und Produzentin Mehrnoush Alia schon einmal mit Scheherazade und den Geschichten aus 1001 Nacht befasst. In 1001 Frames, ihrem ersten Spielfilm, welcher derzeit auf der Berlinale zu sehen ist, kehrt sie zurück zu der bekannten Figur und damit der Praxis des Geschichtenerzählens als identitätsstiftendem Element sowie einer Form der Ausbeutung. 1001 Frames kehrt immer wieder zurück in die Situation des Castings für eine Rolle, geht aber erzählerisch weit über die Filmindustrie hinaus, denn Alia geht es um Machtstrukturen und wie diese die Geschichte eines Menschen beeinflussen. Da ein solches Projekt naturgemäß im Iran nicht genehmigt, geschweige denn finanziert werden wird, drehte sie ohne Genehmigung im Land und nutzte dabei einen Kunstgriff, den schon ihre Kollegen Abbas Kiarostami und Jafar Panahi mehr als einmal nutzten.
Die Rahmenhandlung von Tausendundeiner Nacht erzählt davon, wie Scheherazade den grausamen und eifersüchtigen König Schahryar durch ihre Geschichten davon überzeugt, sie nicht, wie all seine vorherigen Frauen, zu töten, sondern sie am Leben zu lassen. Das Narrative wird zum einen zum Lebensretter und zum Heilsbringer, doch zum anderen auch zu einer Form der Identität für Scheherazade, was letztlich auch der König eingestehen muss. In 1001 Frames bewerben sich verschiedene Darstellerinnen um die Rolle dieser bekannten Figur und beginnen ihre Geschichte zu erzählen. Was zunächst wie ein „normales“ Casting anmutet, wird meist unfreiwillig zu einer Erzählung über sich selbst, über Traumata, über Schuld, über Verdrängtes und über jene Ecken des Herzens, an die man niemanden heranlässt.
„Sie war eine große Geschichtenerzählerin“, tönt der Regisseur hinter der Kamera und verlangt, dass die Geschichte immer weiter geht, motiviert die eine Hälfte, während die andere von ihm gar fast beschimpft wird. Bei den Geschichten bleibt es aber nicht lange, denn dieser Süchtige hinter der Kamera will immer mehr, ist unersättlich und schüttet immer mehr Salz in die Wunden, die er durch seine Fragerei (wieder) geöffnet hat. 1001 Frames ist ein Film, der uns das Machtgefälle der Situation zeigt, die sinnbildlich für andere Kontexte stehen kann und der Zuschauer wird durch die Kamera zum Komplizen den Regisseurs.
„Es kann nicht schlimmer sein als dein Leben daheim.“
Eine junge Frau hat für die Aussicht auf die Rolle nicht nur ihr Zuhause verlassen, sondern auch eine lange Fahrt auf sich genommen, um rechtzeitig zum Vorsprechen zu kommen. Vor der Kamera will sie endlich ohne den Schleier erscheinen, den sie in ihrem Viertel immerzu tragen muss. Es dauert nicht lange, bis die Stimme hinter der Kamera nach ihrem Schleier fragt und darauf besteht, dass sie diesen nur für einen Augenblick trägt. Die Situation ist immer dieselbe, auch die visuellen Mittel, die Alia einsetzt, jedoch erhält das Gezeigte und Gesagte durch die Reduktion eine hohe Intensität.
Die Frauen werden immer wieder ausgenutzt, mal mehr und mal weniger subtil, während die Worte der Position hinter der Kamera wohl kalkuliert sind. Alia setzt in 1001 Frames auf ein tolles Ensemble aus Schauspielerinnen, die besonders wegen ihres zurückhaltenden, subtilen Schauspiels positiv auffallen. Eine ganze Reihe unterdrückter Emotionen zeigt sich in ihren Gesichtern, weil auch ihnen natürlich nicht gefällt, was sie tun sollen oder was sie sagen sollen. Doch sie machen schließlich mit, bis auf einmal ein Moment erreicht ist, an dem der Kontext des Castings gesprengt ist und es nicht mehr länger um eine Fiktion geht.
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