
Elif (Devrim Lingnau) arbeitet als zweite Regieassistentin beim Dreh des neuen Film des deutsch-türkischen Regisseurs Yigit (Serkan Kaya), an dem auch seine Frau Lilith (Nicolette Krebitz) vor und hinter der Kamera mitwirkt. Thematisch befasst sich der Film mit dem Brandanschlag von Solingen 1993, der in einer der Kernszenen nachgestellt wird. Als Komparsen sind einige Männer aus einem nahen Flüchtlingsheim engagiert worden, die sich über die Abwechslung in ihrem Alltag freuen, doch alles andere als begeistert sind, als sie beim Dreh auf einen verbrannten Koran stoßen.
Schon kurz nach dem Dreh kommt es zu ersten Meinungsverschiedenheiten zwischen den Komparsen und der Regie, doch bei diesen bleibt es nicht. Kurz nach Ende der Dreharbeiten verliert Elif den Schlüssel zu Liliths Wohnung, wo sie für die Dauer des Drehs übernachtete, und schließlich verschwinden einige der Filmrollen, ohne die der Film nicht fertig gestellt werden kann. Während Elif versucht, den Schaden so gering wie möglich zu halten, eskaliert die Situation rund um den verbrannten Koran, denn Mustafa (Aziz Çapkurt), einer der Komparsen, macht Yigit schwere Vorwürfe, besonders nachdem dieser seinen Mitbewohner Said (Mehdi Meskar), ebenfalls einer der Komparsen, des Diebstahls verdächtigt.
Die und wir
In seinen Filmen geht es Regisseur Mehmet Akif Büyükatalay darum, mit Stereotypen zu brechen und „politisch und emotional aufgeladene Diskursräume“ abzubilden, die besonders in der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Landschaft eine große Rolle spielen. Mit seinem neuen Spielfilm Hysteria, der aktuell auf der Berlinale 2025 zu sehen ist, verweist er auf die Verarbeitung von Ereignissen wie den Anschlag in Solingen und wie ein solches Ereignis für verschiedene Narrative instrumentalisiert wird. Gerade vor dem Hinblick der Aufarbeitung solcher Tragödien gelingt Büyükatalay ein interessanter und sehr aufrüttelnder Film, der in seiner Konsequenz für die Handlung sowie die Entwicklung der Figuren enttäuscht.
Mit seinen Filmen möchte Büyükatalay das muslimische Leben in Deutschland abbilden, wie er in einem Statement zu Hysteria erklärt. Dabei kollidieren gleich zwei Lager, auf der einen Seite die schon lange in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund und auf der anderen Seite die Menschen, die wahrscheinlich in den letzten Jahren erst nach Europa kamen und noch immer darauf warten, endlich sinnvoll in der Gesellschaft anzukommen. Für die Dauer eines Drehtages sind alle noch ein Team, ein „Wir“, das füreinander einsteht, doch dann kommt es zu einem Moment, in dem diese Illusion fällt und die Diskrepanz dieser beiden Gruppen anzeigt.
Der sich liberal gebende Yigit spricht auf einmal von „die“ und „wir“, während es an einer anderen Stelle heißt, dass „die nicht unsere Freunde sind“. Büyükatalays Film behandelt ein sehr komplexes Thema, indem er zeigt, dass man immer noch keinen gemeinsamen Nenner, keine gemeinsame Identität gefunden hat, unabhängig von der Generation, der man angehört. Lagerdenken und Provokationen sind nur ein paar der Reaktionen, die Büyükatalays zeigt, wobei das Set jenes Hauses in Solingen wie ein Mahnmal über allem steht, einem Ort, dessen Bedeutung auch Jahre nach dem Ereignis noch niemand wirklich erschlossen hat.
Über Opfer und Klischees
Am stärksten ist Hysteria, wenn er über die Rolle der Kunst in diesem Prozess der Verarbeitung oder überhaupt der Thematisierung solcher Zustände spricht. Die von Devrim Lingnau gespielte Elif hadert selbst mit ihrer Identität und hat auch ihre Definition dessen, was Kunst kann und darf, noch lange nicht gefunden. Viel wird um sie herum gesprochen und viele Handlungen werden getätigt, doch man fragt sich als Zuschauer mehr als einmal nach der Authentizität dieser und ob diese tatsächlich über den Selbstschutz hinaus gehen. Yigits Film sei einer, der das „Gewissen von Europa“ beruhige, bemerkt der scharfsinnige Mustafa an einer der intelligentesten Stellen des Filmes, weil Yigits Kunst kalkuliert ist, nicht aber daran interessiert ist, die Probleme beim Namen zu nennen. Lingnau zeigt den Konflikt einer Figur zwischen ihren Idealen als Künstlerin und der eigenen Herkunft und ist damit vielleicht der Spiegel des Dilemmas, was auch das Publikum empfinden mag. Schade nur, dass man ihr und den anderen Figuren nicht das Ende gönnt, was erzählerisch und thematisch konsequenter und stimmiger gewesen wäre.
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