
Die Notärztin Judith (Julia Franz Richter) lebt entfremdet von ihrer leiblichen Familie in Berlin. Nachdem sie als Kind von ihren Eltern weggegeben wurde, baute sie sich in Deutschland ein eigenes Leben auf und heiratete den Fotografen Ryan (Reinout Scholten van Aschat). Als sie die Nachricht erhält, dass ihr leiblicher Vater verstorben ist und ihr sein Haus vererbt hat, beschließt sie dennoch, das Erbe anzutreten, um das Haus zu verkaufen. Zu diesem Zweck reisen sie und Ryan in das kleine Dorf in Österreich, in dem ihr Vater zuletzt lebte und als Arzt praktizierte. Ursprünglich war ihre Reise nur als Wochenendtrip zur Hausbesichtigung geplant, doch Judith wird schnell klar, dass besonders die Frauen des Dorfes ein fast fanatisches Interesse daran entwickeln, sie zum Bleiben zu bewegen.
Österreich kann Horror
Mit Welcome Home Baby versucht sich der vor allem aus dem Fernsehen bekannte Regisseur Andreas Prochaska an einem deutsch-österreichischen Mystery-Thriller. Julia Franz Richter als Judith und besonders Gerti Drassl als Tante Paula tragen den Film mühelos, wobei das gesamte kleine Ensemble eine sehr gute Schauspielleistung abliefert. Zwar liefert Welcome Home Baby keine bahnbrechenden Innovationen für das Mystery-/Horror-Genre, doch er etabliert gleich zu Beginn ein atmosphärisches Setting, das Lust auf mehr macht.
Übernatürlicher Beigeschmack
Relativ schnell wird klar, dass das kleine österreichische Dorf eine gewisse übernatürliche Anziehungskraft ausstrahlt. Obwohl Judith ursprünglich so schnell wie möglich nach Berlin zurückkehren möchte, kann auch sie sich dieser Faszination nicht entziehen. Zusätzlich wird sie seit ihrer Ankunft von Anfällen und Visionen geplagt. Trotz der schnellen Einführung surrealer Elemente beschränkt Andreas Prochaska deren Nutzung auf ein Minimum. Der Horror-Faktor in Welcome Home Baby entsteht weniger durch klassische Schockmomente als vielmehr durch psychologischen Horror, Manipulation und den eigenen Kontrollverlust. Die ansässigen Frauen haben das Dorf und die wenigen männlichen Bewohner fest im Griff. Durch den Tod ihres Vaters fehlt ihnen jedoch ein Arzt, was ihr gesteigertes Interesse daran erklärt, Judith zum Bleiben zu überreden.
Prochaskas Ansatz erinnert dabei lose an Speak No Evil. Sowohl Judith als auch ihr Mann Ryan werden freundlich empfangen und umsorgt, aber relativ schnell in Situationen gedrängt, die nicht nur unangenehm sind, sondern auch persönliche Grenzen überschreiten. Dennoch lassen beide fast alles über sich ergehen, entweder, um nicht unhöflich zu erscheinen, oder weil sie bereits im seltsamen Bann des Ortes gefangen sind. Ersteres wirkt aufgrund ihrer etablierten Persönlichkeiten wenig plausibel, Letzteres bleibt im Laufe des Films jedoch nie mehr als eine Andeutung. Die übernatürliche Anziehungskraft des Ortes und die damit verbundenen hypnotischen Fähigkeiten der ansässigen Frauen werden nie zufriedenstellend erklärt. Der Mystery-Aspekt des Films wirkt dadurch mehr wie eine unbeholfene Lösung, um Logiklücken im Drehbuch auszugleichen, als dass er die Handlung bereichert.
Midsommar in Oberösterreich
Akzeptiert man den übernatürlichen Faktor und ignoriert einzelne Schwächen im Drehbuch, bleibt Welcome Home Baby trotz allem ein atmosphärischer Genuss. Judith durchläuft während des Films zahlreiche psychologische Phasen, die sie ihre Wahrnehmung der Gegenwart und der Vergangenheit hinterfragen lassen. In Momenten psychischer Belastung, Manipulation, Kontrollverlust, Zweifel und vor allem Selbstzweifel, funktioniert Welcome Home Baby am besten. Durch die Andeutung ehelicher Konflikte und das Aufkommen längst verdrängter Traumata wirft Andreas Prochaska immer wieder interessante Aspekte auf, die jedoch meist ins Leere laufen. In der zweiten Hälfte erinnert Welcome Home Baby stellenweise an Midsommar, ohne jedoch jemals dieselbe Ambition oder Handlungstiefe an den Tag zu legen. Stattdessen flachen Atmosphäre und Handlung im weiteren Verlauf des Films merklich ab und kulminieren in einem relativ vorhersehbaren Ende, dem es vor allem an Kompromisslosigkeit und Mut fehlt.
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