Adolescence (2025)

Der Schock ist groß, als die Polizei das Haus von Familie Miller stürmt und den erst 13-jährigen Jamie (Owen Cooper) mitnimmt. Der Vorwurf: Er habe eine Jugendliche ermordet. Für seine Eltern steht fest, dass dies alles nur ein Irrtum ist, es ist völlig unmöglich, dass er etwas so Furchtbares getan hat. Oder etwa doch? Während Detective Inspector Luke Bascombe (Ashley Walters) und die klinische Psychologin Briony Ariston (Erin Doherty) versuchen, die Wahrheit aus dem Jungen herauszuholen, müssen sein Vater Eddie (Stephen Graham), seine Mutter Manda (Christine Tremarco) und seine Schwester Lisa (Amelié Pease) einen Weg suchen, wie sie in dieser Situation noch ein normales Leben führen können, ohne daran zu zerbrechen …

Über das Leben nach dem Mord

Zuletzt hat Netflix gleich mehrere Serien ins Programm aufgenommen, bei denen es um familiäre Bindungen geht. Da war die Romanadaption Der Leopard, bei der eine Familie versucht, in einem sich verändernden Italien nicht an Macht und Einfluss zu verlieren. Anschließend lernen wir in dem mexikanischen Beitrag Willkommen in der Familie eine Familie kennen, die um das Erbe kämpft und dabei zunehmend alle Skrupel über Bord wirft. Mit Adolescence kommt jetzt eine dritte Serie heraus, in der eine Familie im Mittelpunkt steht. Und auch bei der britischen Produktion findet das alles im Rahmen einer wenig alltäglichen Situation statt. Eine Reihe ganz gewöhnlicher Menschen, die bislang ein ganz gewöhnliches Leben führten, müssen sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen, dass der Sohn ein Mörder ist.

Anfangs meint man noch, dass es vielleicht um die Frage gehen könnte, ob der Vorwurf stimmt oder nicht, ein klassischer Krimi also. Schließlich gibt es nicht eben wenige Filme und Serien, bei denen eine zu Unrecht beschuldigte Hauptfigur ihre Unschuld beweisen muss. Stattdessen wird aber recht bald klar, dass der Vorwurf tatsächlich stimmt. Jamie mag dagegen protestieren und darauf bestehen, nichts getan zu haben. Aber das hat wohl mehr damit zu tun, dass der Junge es vor sich selbst nicht eingestehen will. Eine der vier Folgen von Adolescence handelt dann auch primär davon, tiefer in die Psyche von Jamie eintauchen zu wollen. Dabei geht es dann weniger darum, das Geschehen zu rekonstruieren, sondern was in ihm vorgeht. Wer ist der Teenager? Was treibt ihn an? Wie sieht er die Welt?

Emotional und furchterregend

Während es einem bei dieser sehr intensiven Folge eiskalt den Rücken runterlaufen darf, wird es in der finalen sehr emotional. In dieser geht es primär um die drei Angehörigen und die Frage, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Adolescence zeigt die Wut, zeigt die Verzweiflung, wenn es aus den Menschen herausbricht. Die Serie ist aber auch nachdenklich: Die beiden Eltern müssen sich natürlich die Frage stellen, was sie falsch gemacht haben. Wie kann es sein, dass ihr Sohn ein solches schreckliches Verbrechen begangen hat? Hätten sie etwas bemerken müssen? Ist das ihre Schuld? Obwohl die Geschichte eine absolute Ausnahmesituation beschreibt, gibt es dabei viel Identifikationsfläche. Wer Kinder erzieht, wird sich automatisch mit der eigenen Verantwortung befassen müssen und der Frage, was das Richtige ist.

Regisseur Philip Barantini (Yes, Chef!, Accused – Tödliche Ähnlichkeit) verbindet diese verschiedenen Themen und die Nachdenklichkeit mit einer besonderen Inszenierung. Genauer sind alle vier Folgen ohne sichtbare Schnitte gedreht, als One Shot eben. Bei manchen Szenen fällt das weniger auf, etwa in dem Gespräch mit der Psychologin. Andere sind aufwendiger, wenn die Familie durch die Gegend fährt und die unterschiedlichsten Situationen durchmacht. Gebraucht hätte es das Ganze sicherlich nicht, die Geschichte selbst funktioniert ohne genauso gut. Aber es trägt doch zu der Rastlosigkeit bei, zu den emotionalen Odysseen, wenn alle mit der Situation überfordert sind. Und dazu, dass Adolescence eine der stärksten Serien ist, die der Streamingdienst in der letzten Zeit ins Programm aufgenommen hat.