Alles über meine Mutter Todo sobre mi madre
© STUDIOCANAL

Alles über meine Mutter

Alles über meine Mutter Todo sobre mi madre
„Alles über meine Mutter“ // Deutschland-Start: 4. November 1999 (Kino) // 22. August 2024 (DVD / Blu-ray)

Inhalt / Kritik

Das Leben der Krankenschwester Manuela (Cecilia Roth) gerät nach dem Unfalltod ihres Sohnes Esteban aus den Fugen. Von Madrid aus reist sie nach Barcelona, wo sie hofft, den Vater ihres Sohnes ausfindig zu machen, nach dessen Identität Esteban am Tag des tragischen Unfalls gefragt hatte. Dort trifft sie auf Agrado (Antonia San Juan), eine alte Bekannte, die überglücklich ist, ihre alte Freundin wieder zu treffen. Gemeinsam machen die beiden sich auf die Suche nach Estebans Vater, wobei sie Maria Rosa (Penélope Cruz) begegnen, die ebenfalls von Estebans Vater schwanger ist und sich schämt, dies ihren Eltern mitzuteilen. Zudem begegnet Manuela nach einer Vorstellung von Endstation Sehnsucht der Schauspielerin Huma Rojo (Marisa Paredes), deren Leben mit dem Unglück Estebans auf tragische Weise verbunden ist. Für Manuela sind dies mehr als nur Zufallsbegegnungen, denn während sie sich um die schwangere Maria Rosa kümmert, tritt sie als Vertretung für eine der Schauspielerinnen in dem Theaterstück auf, ein Ereignis, das sie an ihre Vergangenheit denken lässt und an ihre Träume und Wünsche als Jugendliche.

Lügen und Improvisieren

Mit Alles über meine Mutter erreichte die Karriere von Filmemacher Pedro Almodóvar eine neue Stufe, denn neben reichlich Kritikerlob erntete der Film zahlreiche Filmpreise, darunter einen Oscar in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film im Jahre 2000. Almodóvar widmet Alles über meine Mutter zum einen allen Schauspielerinnen, die je selbst eine Schauspielerin darstellen mussten, und zum anderen jenen Männern und Frauen, die ein anderes Geschlecht darstellen mit dem Ziel eine Frau oder ein Mann zu werden. Der spanische Filmemacher beleuchtet das Thema des Mutterseins von allen Blickwinkeln aus und setzt damit ein Thema fort, was man bereits aus anderen seiner Werke kennt, nämlich das der neuen Familienkonzepte, die sich aus den komplizierten Verhältnissen der Figuren praktisch wie von selbst entwickeln. Im Kontext aktueller Diskussionen über das Thema Geschlecht und Identität wirkt Alles über meine Mutter wie ein Vorreiter zahlreicher Positionen, die heutzutage besonders in der LGBTQ-Bewegung schon lange die Norm sind.

Als Frau müsse man gut lügen und improvisieren können, heißt es an einer Stelle im Film. Diese Dialogzeile stellt in mehr als nur einer Hinsicht den erzählerischen Kern von Alles über meine Mutter dar, denn nicht nur finden wir zahlreiche Charaktere vor, die ihren Mitmenschen und sich selbst etwas vormachen, wir begegnen zudem immer wieder dem Talent mit einer neuen existenziellen Situation umzugehen, neue Arrangements zu finden und letztlich weiterzuleben. Sein Faible für Melodrama, das teils an Seifenopern angelehnt ist, sowie Anspielungen auf Werke von Tennessee Williams oder John Cassavetes zeigt die Figuren in verfahrenen, teils sehr tragischen Konflikten, die sie zwar versuchen zu lösen, aber sich dadurch nur noch unglücklicher machen als vorher.

Manuela ist eine von vielen Figuren innerhalb der Filmografie des Spaniers, die sich aus einer Verantwortung heraus der Vergangenheit stellt und dabei feststellen muss, wie viel der eigenen Lebensgeschichte ein Schauspiel war, konstruiert zum Schutz anderer oder eben des Selbstschutzes. Anders als für Blanche DuBois in Endstation Sehnsucht, deren Lebenslüge direkt ins Verderben führt, muss der Konflikt oder dessen Auflösung in Alles über meine Mutter notwendigerweise fast schon zu einem neuen Leben führen. Es ist eine Idee, die der Krankenschwester Manuela eigentlich nicht neu sein dürfte, doch etwas zu denken und zu leben sind bei Almodóvar immer zwei verschiedene Paar Schuhe.

Neue Familien

Die Idee der Doppelrolle kommt dem Facettenreichtum geschlechtlicher Identität, besonders innerhalb der Gesellschaft, sehr nahe. Alles über meine Mutter zeigt die Zerrissenheit von Figuren, die an dem Konflikt von Tradition und Identität zugrunde zu gehen drohen, doch Almodóvar denkt bereits einen Schritt weiter. Wie in seinen anderen Werken sind es die Frauen, vor allem die Mutterfiguren, die eine Umorientierung der Familie vorantreiben. Cecilia Roth als Manuela überzeugt als eine Frau, deren Schuld und Verantwortung gegenüber ihrem Sohn einen Heilungsprozess in die Wege leitet, für ihr Umfeld wie auch sich selbst. Die Figur der Stella, die sie im Theater spielt, geht an der Tradition zugrunde und merkt dies erst, als ihre Schwester hintergangen wird. Während es für die Figur zu spät ist, versucht sich Manuela an einer neuen Familie, die ebenso viel Glück verspricht wie die Tradition. Dabei vermischen sich Tragik und Komik immer wieder, besonders im Zusammenspiel mit den leuchtenden, bunten Farben, die Almodóvars Kino bis heute ausmachen. Almodóvar formuliert nichts weniger als eine hoffnungsvolle Utopie für seine Figuren, wie sie nur die Kunst erschaffen kann und die man sich für die Wirklichkeit wünscht.



(Anzeige)

Alles über meine Mutter
fazit
„Alles über meine Mutter“ ist eine Tragikkomödie über Geschlechteridentitäten und neue Familien. Regisseur Pedro Almodóvar schafft die Utopie einer neuen Gemeinschaft, in der vor allem das Glück und nicht fatale Erwartungshaltungen oder Selbstbilder im Vordergrund stehen. Das tolle Ensemble und die Bilder machen „Alles über meine Mutter“ zu einem Vergnügen für Filmfans und zu einem der besten Filme des Spaniers.
Leserwertung0 Bewertungen
0
9
von 10