Bolero
Raphaël Personnaz als Komponist Maurice Ravel in "Bolero" (© X Verleih - Pascal Chantier)

Anne Fontaine / Raphaël Personnaz [Interview]

Anne Fontaine (© Marie Rouge / Unifrance)

Deutsche Version

Bolero (Kinostart: 6. März 2025) folgt dem französischen Komponisten Maurice Ravel (Raphaël Personnaz), der von der exzentrischen Tänzerin Ida Rubinstein damit beauftragt wird, ein Stück für ihr nächstes Ballett zu schreiben. Zunächst tut er sich schwer damit, das klappt alles nicht so, wie er will. Erst als er sich öffnet für neue Inspirationen und sich auch mit seiner Vergangenheit befasst, hat er die zündende Idee. In dem Drama befasst sich Regisseurin Anne Fontaine nicht nur mit dem weltberühmten Orchesterstück, sondern sucht auch den Menschen dahinter. Wir haben bei der Deutschland-Premiere während der Französischen Filmwoche 2024 mit dem Schauspieler und der Filmemacherin über ihr Werk und den Komponisten gesprochen.

Könnest du uns etwas über den Beginn des Projekts erzählen? Wie bist du auf die Idee gekommen, diesen Film zu machen?

Anne Fontaine: Ich glaube, das hat damit zu tun, dass mein Vater, ein Musiker, mir eine musikalische Ausbildung gegeben hat und ich schon als kleines Kind viele Instrumente gespielt habe. Eines Tages, als ich an einem Strand war, kam mir aus irgendeinem Grund die Idee, einen Film über Maurice Ravel zu machen. Und ich sagte, ich möchte einen Film machen, der dieses Genie, diesen Ravel, zum Ausdruck bringt. Es beginnt auf eine Art irrational, denn es muss etwas sein, das einem passiert. Es ist ein Film über die Schöpfung, darüber, wie die Inspiration kommt oder nicht kommt. Wenn man Regisseur ist, wenn man Dinge schreibt oder wenn man sich etwas vorstellt, ist man sehr sensibel und offen für die Welt um einen herum. Es war interessant, in Ravel hineinzuschnuppern, in ihn hineinzuschauen und zu spüren, wie die Klänge zusammenkommen, die Lebensgeräusche, die Vögel, der Regen, die Fabriken, wie sie zu einem Meisterwerk beitragen. Ich wollte einen kreativen Prozess zeigen und wie wir beeinflusst werden.

Und Raphaël, warum wolltest du diesen Film machen?

Raphaël Personnaz: Als ich dieses Drehbuch las, wusste ich nichts über Maurice Ravel, ich kannte nur seinen Bolero. Ich war wirklich überrascht, dass ich beim Lesen Empathie mit ihm empfand. Er war wie ein Freund für mich, den ich kennenlernen wollte. Ein mysteriöser Freund, ein heimlicher Freund. Ich liebe die Tatsache, dass wir mehr über seine Musik wissen als über ihn selbst. Er war hinter seiner Musik verborgen. Ich mag das Wort nicht, aber es ist eine Art Herausforderung für einen Schauspieler, dieses Geheimnis zu ergründen. Es ist wie die Arbeit eines Journalisten. Man muss Nachforschungen über ihn anstellen. Und diese Arbeit ist auch nach den Dreharbeiten noch nicht getan.

Wie sahen diese Nachforschungen aus, die du vor dem Dreh dieses Films durchgeführt hast?

Raphaël Personnaz: Nun, da war die ganze Arbeit, die Anne mit dem Drehbuchautor gemacht hat. Das Drehbuch war voller Informationen, ohne ein Wikipedia-Artikel zu sein. Das gefällt mir sehr. Ich habe viel über Maurice Ravel gelesen, und manchmal heißt es, er sei homosexuell gewesen, manchmal heterosexuell. Niemand weiß es wirklich. Nachdem ich Alexandre Tharaud kennengelernt hatte, der in dem Film mitspielt und einer der größten Klavierspieler der Welt ist, ein Ravel-Spezialist, konnte ich mich dieser Figur am besten über seine Musik und die Erklärungen der Musik durch Alexandre Tharaud nähern. Es war sehr wertvoll, zu hören, was er über ihn zu sagen hatte. Also studierte ich ein Jahr lang Klavier und lernte, wie man ein Orchester dirigiert. Das war eine körperliche Art, mich dieser Figur zu nähern.

Hast du vorher schon Musik gemacht?

Raphaël Personnaz: Ich habe als 10-Jähriger viele Jahre lang Trompete gespielt, und dann wollten mich meine Nachbarn umbringen. Danach habe ich ein bisschen Klavier gespielt, aber ich konnte nur Let It Be von den Beatles spielen. Dafür musste ich also viel üben. Das war wirklich schön, und das mache ich immer noch.

Anne, könntest du uns etwas über den Rechercheprozess beim Schreiben des Drehbuchs erzählen?

Anne Fontaine: Alexandre Tharaud, der Pianist, über den wir gesprochen haben, war sehr hilfreich. Er sagte etwas sehr Interessantes: Wenn er im Konzert oder bei der Probe etwas von Maurice Ravel spielt, fühlt er in sich eine Sinnlichkeit und Neurotizismus. Das war eine sehr interessante Art, ihn durch seine Musik zu verstehen.

Raphaël Personnaz: Dann gingen wir zu seinem Haus, seinem echten Haus, das noch existiert. Zu sehen, wie jemand lebt und alle Einzelheiten, gibt uns die Möglichkeit, in die Privatsphäre einer Person einzudringen, ich denke, das ist die beste Recherche, die man über jemanden machen kann, um wirklich zu spüren, wer er ist.

Anne Fontaine: Du hast all diese Details: das Klavier, das Bett. Das war unglaublich.

Und was ist mit den Frauen in seinem Leben?

Anne Fontaine: Das ist ein weiterer wichtiger Aspekt, um ihn zu verstehen. Die Frauen spielten eine große Rolle in seinem Leben. Aber es gibt auch ein Mysterium. Wir wissen, dass er Frauen traf. Aber wir wissen nicht, was er tat. Deshalb habe ich mir etwas anderes ausgedacht, wenn er im Film darum bittet, einen Handschuh anzuziehen, um das Geräusch zu hören, wenn sie ihn anzieht, ein spezifisches, sehr erotisches Geräusch. Die Charaktere der Frauen sind real, aber ich habe sie auf meine eigene Weise interpretiert. Ich habe die Art und Weise interpretiert, wie er seine Musik kreiert und die Art und Weise, wie er keine Ahnung hat, was vor sich geht, weil alles Teil dieses Prozesses ist.

Dann reden wir über den Bolero: Warum ist dieses Lied eurer Meinung nach auch 100 Jahre später noch so beliebt?

Anne Fontaine: Da ist diese Energie, eine Sexualität, eine Erotik, etwas so Kraftvolles, dass man, wenn man erst einmal angefangen hat, es zu hören, nicht mehr von dieser Musik loskommt. Es ist eine Musik, die einen mit dem Rhythmus mitreißt.

Raphaël Personnaz: Du kannst nicht entkommen.

Anne Fontaine: Interessant ist, dass viele Gruppen wie die Rolling Stones oder Deep Purple sagten, der Bolero habe sie beeinflusst. Es gibt nichts Vergleichbares zum Bolero. Er ist auch sehr demokratisch, weil jeder seine eigene Version davon machen kann. Man kann in Afrika mit Kindern dazu tanzen, ihn in einem Aufzug hören oder eine seriöse Orchesterversion bei einem Konzert spielen. Er funktioniert überall und steht jedem offen.

Raphaël Personnaz: Es ist ein so einfaches Motiv, dass es jedem gefallen kann. Und es ist ein wiederkehrendes Motiv, ein Loop. Das ist das erste Mal in der klassischen Musik, dass jemand einen Loop verwendet hat, wie später in der elektronischen Musik. Das war für die damalige Zeit also ziemlich neu und revolutionär.

Anne Fontaine: Der Film handelt aber nicht nur vom Bolero. Es gibt viele andere Stücke von Ravel, großartige Stücke, die man entdecken kann. Seine Musik ist so bewegend, so schön, dass man die ganze Sensibilität spüren kann, selbst wenn man keine klassische Musik kennt.

Trotz aller anderen Stücke wird er oft auf die Rolle des Komponisten des Bolero reduziert. War es für ihn Segen oder Fluch, durch dieses Lied so berühmt geworden zu sein?

Anne Fontaine: Für ihn war es schlimm. Es gibt dieses Paradoxon seines populärsten Meisterwerks: Er mag es nicht und sagt, es sei keine Musik darin. Er selbst versteht es nicht. Heute würde ihn die Popularität des Bolero vielleicht amüsieren. Aber damals schämte er sich mehr oder weniger, als er bei der ersten Premiere des Bolero dabei war.

Wenn ihr einen eurer Filme auswählen müsstet, der euch am besten repräsentiert, welcher wäre das?

Anne Fontaine: Diese Frage gefällt mir nicht. Aber ich versuche trotzdem, dir eine Antwort zu geben. Es gab diesen kleinen Film Augustine, den ich mit meinem Bruder Jean-Chrétien Sibertin-Blanc gemacht habe. Er war außerhalb der Branche, außerhalb von allem, und er hat mir gezeigt, dass man einen Film machen kann, ohne sich um das Geld kümmern zu müssen. In dieser Hinsicht ist der Film etwas Besonderes für mich.

Raphaël Personnaz: Diese Frage kann ich nicht beantworten. Vielleicht kann ich am Ende meines Lebens, wenn ich mir alle Filme anschaue, die ich gemacht habe, sagen, welcher der wichtigste ist. Aber im Moment habe ich keine Antwort.

Anne Fontaine: Und was ist mit dir? Worauf bist du stolz?

Was mir an meiner Website gefällt, ist, dass ich dem Publikum viele Menschen vorstellen kann, die hinter den Filmen stehen. Ich kann also sagen: Wenn euch dieser Film gefällt, dann sind das diejenigen, die ihn gemacht haben, und das ist der Grund, warum er oder sie ihn gemacht hat und was sie darüber denken Das machen nicht viele Leute in Deutschland. Das ist also etwas, worauf ich irgendwie stolz bin. Vielleicht ist es nicht das Beste, was ich gemacht habe, aber es ist immerhin etwas.

Raphaël Personnaz: Das ist eine gute Antwort. Besser als unsere.

Anne Fontaine: Sehr schön.

Um auf euch zurückzukommen: Ihr habt beide schon biografische Filme gedreht. Glaubt ihr, dass es einfacher ist, Filme über reale Personen zu drehen als über fiktive Personen?

Anne Fontaine: Ehrlich gesagt mag ich Biopics nicht. Ich glaube, ich habe noch kein Biopic gemacht. Selbst der Film über Coco Chanel handelte nicht wirklich von ihrem Leben. Bolero ist auch kein Biopic. Es ist eine Art, durch die Musik zu träumen. Natürlich basieren die Filme auf Charakteren, die es wirklich gab. Aber Biopics müssen bestimmten Formen und Regeln folgen. Und das mag ich nicht. Daher kann ich deine Frage nicht wirklich beantworten. Ich kann jedoch sagen, dass Komödien die schwierigsten Filme sind. Etwas Lustiges, aber Tiefgründiges zu machen, das ist für mich am schwierigsten.

Raphaël Personnaz: Ich bin mir auch nicht sicher. Maurice Ravel zum Beispiel, seine Figur, sein Gesicht kennen vielleicht einige Leute, aber nicht alle. Es war interessant, sich nicht zu sagen: Ich muss so sein, ich muss ihn nachahmen.

Anne Fontaine: Nachahmung ist nicht sehr interessant.

Du hast ja schon erwähnt, dass Ravel vom Bolero nicht begeistert war. Dieser war ursprünglich auch nur ein Auftragswerk, also etwas, das er für jemand anderen gemacht hat. Aber glaubst du trotzdem, dass man in dieser Musik seine Persönlichkeit wiederfinden kann oder ist es wirklich nur ein Auftragswerk?

Raphaël Personnaz: Für mich ist es sogar die persönlichste Musik, die er je geschrieben hat. Wie du sagst, hatte er keine Wahl, er hatte drei Monate Zeit, etwas zu schaffen. Ich denke, das Ergebnis ist die perfekte Widerspiegelung seines inneren Wesens. All diese Spannung, diese sexuelle Spannung. Ich denke, deshalb ist es so schwierig, ihn zum ersten Mal im Theater zu sehen.

Anne Fontaine: Es war ein Schock.

Raphaël Personnaz: Richtig, es war ein Schock. Weil das Stück er war.

Eine letzte Frage. Wir haben darüber gesprochen, wie sich Ravel in seiner Musik ausdrückt. Wie wichtig ist es für euch, euch in euren Filmen auszudrücken?

Anne Fontaine: Oh la la. Ich habe kein Talent, Geschichten über das normale Leben zu erzählen. Da gibt es keinen Rhythmus, da ist nichts. Es ist nicht intensiv. Deshalb fühle ich mich wohler mit Figuren, die Dinge tun können, die ich mir vorstelle. Dinge, die im Leben nicht passieren.

Raphaël Personnaz: Manche Künstler haben wirklich die Gabe, über politische Dinge zu sprechen. Ich versuche jedoch, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren.

Okay, aber ich habe mich nur gefragt, ob es dir wichtig ist, wenn du jemanden spielst, etwas in dir selbst zu finden, das du in diese Rolle einbringen kannst.

Raphaël Personnaz: Oh ja, natürlich. Aber es ist nicht definiert, es ist kein Rezept oder so etwas. Es passiert meiner Meinung nach unbewusst. Man möchte nicht darüber nachdenken, sondern es lieber auf natürliche Weise geschehen lassen.

Anne Fontaine: Manchmal ist es gut, blind zu sein.

Danke für das Interview!



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