
Hamid (Adam Bessa) gehört zu den vielen Opfern des syrischen Regimes, der Literaturdozent wurde nicht nur gefoltert, sondern hat auch Frau und Kind verloren. Später ist ihm zwar die Flucht geglückt, er hat in Frankreich Asyl gefunden. Doch die Vergangenheit lässt ihn nicht los – auch weil er nicht loslassen will. So hat er sich der geheimen Yaqaza-Zelle angeschlossen, einer Untergrundorganisation, die gezielt nach flüchtigen Kriegsverbrechern sucht und diese der Justiz ausliefern will. Dabei wird er auch auf den Studenten Harfaz (Tawfeek Barhom) aufmerksam, in dem er seinen ehemaligen Peiniger wiederzuerkennen glaubt. Die Sache hat aber einen Haken: Ihm wurden bei den Folterungen die Augen verbunden, weshalb er nur Stimme und Geruch kennt. Dennoch steigert er sich in die Überzeugung hinein, den Schuldigen gefunden zu haben …
Die späte Suche nach Gerechtigkeit
Die Erleichterung war groß, als das Assad-Regime gestürzt wurde, die syrische Bevölkerung nun die Chance auf einen Neuanfang erhält. Das lässt Die Schattenjäger erst einmal wie ein Relikt der vergangenen Zeit erscheinen. Und doch wird das Thrillerdrama dadurch nicht weniger relevant. Tatsächlich spiegelt es vielmehr das Schicksal des Protagonisten. Denn eigentlich könnte auch er von vorne anfangen, in einem fremden Land, in Sicherheit. Er sucht aber im Gegenteil die Vergangenheit, sucht Gerechtigkeit, will die Aufarbeitung dessen, was zuvor geschehen ist. Der Film wird auf diese Weise zu einer Mahnung, das nicht alles auf sich beruhen zu lassen, in der verständlichen Euphorie über die Verbesserung das Geschehene nicht einfach zu vergessen.
Dies geschieht aber nicht in Form eines moralisierenden Dramas. Stattdessen hat sich Regisseur und Co-Autor Jonathan Millet für einen Thriller entschieden. Dabei wird in zweifacher Hinsicht für Spannung gesorgt. Zum einen geht es natürlich um die Frage, ob Hamid und die anderen den Kriegsverbrecher schnappen können. Da wird recherchiert wie in einem Spionagethriller. Verstärkt wird das durch die Geheimnistuerei: In Die Schattenjäger achten die Mitglieder der Zelle darauf, dass sich niemand kennt, kommuniziert wird mittels Voice Chat bei einem Computerspiel. Hinzu kommen aber Elemente des Paranoia Thrillers, wenn der Protagonist sich immer stärker hineinsteigert. Das Publikum weiß hier selbst nicht, ob es denn Hamid vertrauen kann, der so traumatisiert ist, dass er einen Tunnelblick entwickelt.
Zwischen Spannung und Denkanstoß
Auf diese Weise kommt dann doch noch ein größerer Dramapart hinzu, wenn ein gebrochener Mann nur durch seine selbsternannte Mission weitermachen kann. Hauptdarsteller Adam Bessa (Tyler Rake: Extraction 2, Haute Couture – Die Schönheit der Geste) ist dafür eine gute Wahl. Meistens agiert er zurückhaltend. Der Schmerz ist dennoch in seiner Figur zu spüren, auch außerhalb der Szenen, wenn dieser aus ihm herausbricht. Diesen persönlichen Part verbindet Die Schattenjäger mit ganz grundsätzlichen Überlegungen. Da geht es um Fragen der Gerechtigkeit. Was bedeutet diese? Wie lässt sie sich erreichen? Aber auch: Wie weit darf man dafür gehen? Die europäische Coproduktion befasst sich mit dem Thema der Selbstjustiz, weckt einerseits Verständnis für die Figuren, die so viel erleiden mussten, setzt gleichzeitig das eine oder andere Fragezeichen. Damit unterscheidet sich das Werk etwa von Der Tod und das Mädchen über eine Frau, die ebenfalls ihren Peiniger an der Stimme zu erkennen glaubt.
Der Film, der 2024 die Semaine de la critique in Cannes eröffnet hat, ist dadurch ein bewusst ambivalentes Werk. Hier gibt es keine einfachen Antworten, wird niemandem gesagt, was zu denken und zu tun ist. Tatsächlich müssen die Zuschauer und Zuschauerinnen nicht einmal zwangsläufig über diese Punkte nachdenken. Wer mag, findet in Die Schattenjäger auch einen regulären Thriller, der als reine Unterhaltung gut funktioniert, obwohl er spröder ist als andere thematisch ähnliche Genrebeiträge. Die tatsächliche Klasse besteht aber aus der Kombination dieser Unterhaltung mit Denkanstößen und dem Porträt eines Mannes, der zum Gefangenen seiner Vergangenheit geworden ist.
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