
Mit ihrem zweiten Spielfilm Mond hat die österreichische Regisseurin Kurdwin Ayub bei den Filmfestspielen in Locarno den Großen Preis der Jury gewonnen – die zweitwichtigste Auszeichnung des Festivals. In Mond wird Sarah, eine ehemalige Kampfsportlerin aus Wien, von einer jordanischen Familie als Personal Trainerin für die drei jugendlichen Töchter engagiert. Doch da die jungen Frauen konsequent von der Außenwelt abgeschottet werden, überwacht sind und sich scheinbar nicht für Sport interessieren, wird der neue Job für Sarah immer beunruhigender. Warum wurde sie überhaupt eingestellt?
Zum Deutschland-Start von Mond am 27. März 2025 hatten wir die Gelegenheit, mit Kurdwin Ayub, die im Februar auch an der Berliner Volksbühne als Theaterregisseurin mit ihrem eigenen Stück Weiße Witwe debütierte, zu sprechen. Im Interview erzählt sie von ihrer Herangehensweise ans Filmemachen, Hauptdarstellerin Florentina Holzinger, den Drehbedingungen in Jordanien und ihrer Zukunft als Filmemacherin.
Frau Ayub, Mond ist Ihr zweiter Spielfilm nach Sonne. Sonne war bereits relativ erfolgreich auf Festivals und auch darüber hinaus. Hat sich Ihre Herangehensweise ans Filmemachen vom ersten zum zweiten Film geändert, oder ist sie gleich geblieben?
Ich habe mehr ans Publikum gedacht. Ich habe versucht zu irritieren und zu manipulieren. Ich wollte es auf eine Fährte bringen, die vielleicht falsch ist. Außerdem habe ich während des Schreibens schon daran gedacht, wie ich es inszenieren würde. Bei Sonne habe ich während des Drehs manchmal gemerkt, dass eine Drehbuchszene nicht zu meiner Drehmethode passt. Daher habe ich bei Mond schon beim Schreiben darauf geachtet, wie ich die Szene später inszenieren werde.
Dann kommen wir jetzt direkt auf Mond zu sprechen. Wenn Sie den Film jemandem beschreiben müssten, der noch nichts von Kurdwin Ayub gehört hat und auch Sonne nicht kennt, wie würden Sie Mond beschreiben?
Das ist schwer. Ich würde sagen, es geht um Figuren, die in Rollen und Konstrukten festsitzen und nicht rauskommen können, egal wo sie herkommen. Und es geht um eine Kämpferin, von der man annimmt, dass sie eine Superheldin ist – aber in Wirklichkeit ist sie es nicht.
Bleiben wir doch bei der Superheldin, der Hauptfigur Sarah. Sie wird eingeführt wie eine typische Actionheldin. Und wenn man sich ein bisschen im Actionkino auskennt und genug amerikanische B-Movies gesehen hat, dann meint man ja schon zu wissen, in welche Richtung der Film gehen könnte. Doch das tut er am Ende überhaupt nicht. War das von Anfang an so beabsichtigt?
Ja, das war wirklich die Anfangsidee. Ich wollte eine europäische Frau wie eine Actionheldin darstellen. Und die Szene während der Flucht im Auto soll dieses Narrativ schlussendlich ganz brechen. Und genau deswegen habe ich so viele Action- und Spannungselemente ganz thrillerartig in den Film gepackt. Das Publikum sollte denken: „Ah, jetzt passiert das und das und dann das.“ Doch die ganze Zeit passiert es zuerst nicht und dann wieder nicht, und am Ende erst recht nicht. Einfach, weil ich eine Art Realität zeigen wollte, aber nicht im klassischen Sinne. Es gibt ja diese Art von Filmen, die dem Publikum sehr glatt und platt ihre Meinung erzählen. Das wollte ich nicht. Ich wollte ein Erlebnis schaffen, das nicht wie ein Lehrfilm rüberkommt, der erklärt, was White Saviorism ist und was nicht, sondern eines, bei dem sich das Publikum selbst in seinem White Saviorism ertappt fühlt.
Auffällig in Mond ist noch, dass die drei jordanischen Schwestern gerne arabische Soap-Operas im Fernsehen ansehen. Hier in Europa ist gar nicht so bewusst, welchen Stellenwert diese Soaps im arabischen Raum haben. Hatten Sie eine bestimmte Absicht, als Sie diese Sendungen in den Film eingebaut haben?
Wie es bei uns viele Actionfilme, Thriller oder Krimis wie den Tatort gibt, gibt es im arabischen Raum sehr, sehr viele Soaps. Und diese Soaps behandeln lustigerweise oft dieselben Themen: Das junge Mädchen will aus der Familie ausbrechen oder verliebt sich in jemanden oder findet einen Mann, den sie nicht haben darf. Und das finde ich so interessant. Deswegen ist es auch ein Teil des Films Mond, dass die drei jungen Frauen genau diese Narrative schauen. Ich spiele also von beiden Seiten mit diesen Rollenklischees und Narrativen aus beiden Kulturen, die dann aufeinanderprallen. Aber auch mit dem Glauben der Schwestern, dass die europäische Frau ihnen automatisch helfen wird. Es war mir daher auch wichtig, dass ich auch bei ihnen diese Klischees breche, also nicht nur einseitig die europäischen Narrative.
Zum Cast: Es war schon ein kleiner Coup, dass Florentina Holzinger die Hauptrolle übernommen hat. Sie ist im Kulturbetrieb momentan in aller Munde, hat als Regisseurin sämtliche Theaterpreise gewonnen, aber als Filmschauspielerin ist sie ein unbeschriebenes Blatt. Haben Sie schon beim Schreiben direkt an sie gedacht?
Sie ist ja, wie ich, auch aus Österreich, und wir kennen uns schon länger. Ich kannte ihre Shows von Beginn an und finde sie großartig. Ich habe sie dann einfach angerufen und gesagt: „Hey, ich schreibe ein Drehbuch mit dir in der Hauptrolle.“ Und sie hat gesagt: „Cool.“ Längere Zeit später haben wir dann Dinge ausprobiert, gecastet und sind dann beide darauf gekommen: Ja, machen wir es.
Und wie haben Sie die jordanischen Schauspielerinnen gefunden?
Es war schon ein längerer Casting-Prozess. Wenn man als europäische Produktion nach Jordanien geht, ist das natürlich ein längerer Vertrauensaufbau, nenne ich es mal. Es ist ein eher konservatives Land, ich will das nicht verharmlosen. Aber ich kenne Filmemacherinnen und habe Freundinnen dort. Über diese Kontakte haben wir dann Leute gecastet. Schließlich kam ich auf die Darstellerin der Nour, Andria Tayeh. Sie ist eine sehr bekannte Schauspielerin im arabischen Raum, seit sie in einer der ersten arabischen Serien mitgespielt hat, die auf Netflix lief. Sie hat gesagt, sie findet die Botschaft des Films gut. Deswegen macht sie mit, obwohl sie so viele Angebote hat. Und als sie dabei war, kamen alle anderen dazu.
Und der Dreh in Jordanien? Wie muss man sich das vorstellen? Wie unterscheidet sich das von einem Dreh in Wien?
Die Filmteams sind größer. Jordanien ist ein Hollywood-Drehland. Im Süden gibt es eine riesige Wüste. Dort wurden Dune, Der Marsianer oder Aladdin gedreht – also alle möglichen Filme, die Science-Fiction, Wüste, Krieg oder Terrorismus zeigen. Die Verhältnisse waren also viel größer und wilder, mehr Hollywood. Das war schon lustig. Und teurer ist es natürlich auch. Hollywood hat die Preise dort ziemlich verschissen.
Zum Abschluss noch ein kurzer Blick in die Zukunft: Nach Sonne und Mond müsste nach Kinderlied-Logik nun Sterne folgen. Ist der Film Sterne schon in Planung?
Geplant ist er. Ob die Finanzierung bis dahin steht, ist natürlich fraglich, denn wir leben heutzutage in wirren Zeiten. Wir versuchen, den Film im Herbst 2026 zu drehen. Derzeit casten wir gerade. Ein Drehbuch gibt es schon, aber daran wird natürlich immer weiter geschrieben. Es geht um eine Journalistin, die 2014 in Mossul im Irak ist, als dort der Islamische Staat die Stadt übernimmt. Sie flüchtet dann aus der Stadt und aus dem Land. Der Film dreht sich also um ihre Fluchtgeschichte. Es geht also um westliche Menschen, die dort im Irak Krieg gespielt haben.
Das hört sich spannend an. Es wäre dann bereits Ihr dritter Film mit einer Nahost-Thematik, was natürlich ein Thema ist, das Sie sehr interessiert. Aber können Sie sich vorstellen, in Zukunft einmal etwas komplett anderes zu machen?
Ich weiß nicht. Ich finde europäische Sachen irgendwie fad. Nein, das war jetzt ein Spaß. Aber wenn ich Angebote bekomme, dann geht es immer um Themen wie Migration, Religion oder Ausländer, anstatt dass ich mal einen Tatort angeboten bekomme. Ich glaube, dass manche Leute Diversity falsch verstehen. Aber eigentlich mag ich auch meine eigenen Themen, denn das sind die Dinge, die mich beschäftigen.
Aber ein Tatort oder so würde Sie auch reizen? Chloe Zhao hat nach Nomadland schließlich auch einen Marvel-Film gedreht.
Klar, würde ich schon überlegen, wenn ich einen Tatort angeboten bekäme. Aber ich habe so viel zu tun, dass ich dann doch lieber Dinge mache, die ich selbst schreibe. Aber wenn jetzt Hollywood kommt und sagt: „Dreh einen Marvel-Film“, werde ich wahrscheinlich nicht Nein sagen.
Kurdwin Ayub, vielen Dank für das Gespräch!
(Anzeige)