
Eigentlich ist Transgeschlechtlichkeit ein Thema, das gar nicht so viele Menschen betrifft. Und doch findet man es immer wieder, nicht zuletzt weil es sich für billigen Polit-Populismus eignet. Umgekehrt erscheinen regelmäßig Filme, die sich für Betroffene einsetzen. In Deutschland gab es beispielsweise Oskars Kleid, wo sich ein Vater mit dem Gedanken auseinandersetzen muss, dass sein Sohn vielleicht doch eine Tochter sein könnte. Der Fernsehbereich wurde unter anderem durch das Drama Ungeschminkt bedient, dort geht es um eine Trans-Frau, die in ihre Heimat zurückkehrt und sich der Vergangenheit stellen muss. Mit Privileg kommt nun ein Dokumentarfilm heraus, der sich ebenfalls mit dem Themenbereich befasst.
Persönlich und politisch
Im Mittelpunkt desselben steht das Ehepaar Henri und Johannes Vogel. Henri war im Körper einer Frau geboren, heiratete als solche auch noch Johannes, bevor er sich outete und beschloss, die Transition in Angriff zu nehmen. Das ist natürlich eine interessante Familienkonstellation. Diese steht aber nur zum Teil im Mittelpunkt. Stattdessen deckt Regisseur Ali Schmahl in seinem Werk die unterschiedlichsten Themen ab. Einige davon sind persönlicher Natur. Unter anderem erfahren wir von dem Werdegang Henris, seinem Outing gegenüber seiner Mutter, aber auch seinen religiösen Überzeugungen. Letztere waren wenig überraschend mit Schwierigkeiten verbunden, das mit der Andersartigkeit ist oft so eine Sache. An persönlichen Anekdoten mangelt es nicht, er teilt auch intime Gedanken mit dem Publikum, ohne dass es dabei voyeuristisch würde.
Verbunden wird dies mit einem Blick auf die gesellschaftliche und politische Situation in Deutschland. Kein Wunder, Henri war bis zu seinem tragischen Unfalltod 2024 als Aktivist tätig, setzte sich für mehr Sichtbarkeit und bessere Bedingungen ein. Auf diese Weise schwankt der Film mehrfach zwischen kleinen Ausschnitten und großen Themen hin und her, versucht sich an einem Gesamtbeitrag zu Transgeschlechtlichkeit. Dass das so ein bisschen schwierig ist, wissen die Interviewten selbst. Privileg erzählt auch von der Problematik, dass einzelne Transmenschen gern stellvertretend für alle genommen werden, die individuellen Geschichten damit hinter einem einzelnen Merkmal zurücktreten. Das ist natürlich kein reines Trans-Problem, sondern liegt in der Natur, dass Einzelne für alle stehen sollen.
Viele Themen, wenig Zeit
Immer wieder wird der Themenkomplex dann auch in einem größeren Kontext gesehen. Da geht es dann ganz allgemein um Diskriminierung in Deutschland. Um die Frage, wie mit Menschen umgegangen wird, die irgendwie anders sind. Ein bisschen schwingt auch die Frage mit, inwieweit man selbst die eigene Identität bestimmen kann. Für Henri ist es ein Privileg, sich den eigenen Namen aussuchen zu dürfen – daher auch der Titel des Dokumentarfilms. Der Gedanke wird aber nicht weiter vertieft, dafür reichen die anderthalb Stunden dann doch nicht aus. Allgemein bleibt vieles durch den zeitlichen Rahmen notgedrungen an der Oberfläche. Ein einzelner Film reicht da einfach nicht aus, um allem den Raum zu geben, den es verdienen würde.
Interessant wäre es etwa gewesen, noch einen genaueren Blick auf die Community zu werfen und darin verschiedene Ansichten herauszuarbeiten. Wenn an einer Stelle beispielsweise von „transsexuell“ gesprochen wird, dies aber ein Begriff ist, der von anderen Transmenschen abgelehnt wird, darf man hellhörig werden. Es wird aber gleich zum nächsten Punkt übergangen. Für ein Transpublikum dürfte das zu wenig sein. Für andere Zuschauer und Zuschauerinnen lohnt sich aber ein Blick auf ein Thema, das die meisten dann doch eher vom Hörensagen her kennen. Privileg ist ein guter Einstieg in den Komplex und spricht die unterschiedlichsten Aspekte an, über die man im Anschluss weiter nachdenken kann.
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