Schatten der Nacht Gecenin Kıyısı
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Schatten der Nacht

Schatten der Nacht Gecenin Kıyısı
„Schatten der Nacht“ // Deutschland-Start: 27. März 2025 (Kino)

Inhalt / Kritik

Türkei, 2016: Der pflichtbewusste Hauptmann Sinan (Ahmet Rifat Sungar) erhält den Befehl, seinen eigenen Bruder Kenan (Berk Hakman) vor ein Militärgericht zu bringen. Kenan wird der Rebellion gegen den Staat bezichtigt, während Sinan fest in den Strukturen des Militärs verankert ist. Die Reise, die sie gemeinsam durch ein von Angst und Unruhe geprägtes Land antreten, wird zu einer Konfrontation mit ihrer Vergangenheit: der tragische Tod des Vaters, ihre unterschiedlichen Ideale und das tiefgehende Misstrauen, das sie trennt. Doch während die Auseinandersetzung der beiden Brüder eskaliert, geraten die politischen Verhältnisse ins Wanken – der Putschversuch beginnt, und plötzlich stehen beide Männer vor Entscheidungen, die nicht nur ihr persönliches Leben, sondern die Zukunft des Landes beeinflussen könnten.

Familiendrama vor politischem Hintergrund

Mit Schatten der Nacht legt der in Köln geborene Regisseur Türker Süer sein Spielfilmdebüt vor. Bislang als Werbefilmer und Kurzfilmregisseur tätig, wagt er sich hier an ein ambitioniertes, politisch aufgeladenes Drama. Sein Film feierte in der Sektion Orizzonti Extra bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig 2024 Premiere und rückt den gescheiterten Putschversuch in der Türkei von 2016 in den Mittelpunkt. Doch anstatt diesen als bloßen Hintergrund zu inszenieren, verknüpft Süer die politischen Verwerfungen mit einem persönlichen Drama: dem Konflikt zweier Brüder, die sich auf entgegengesetzten Seiten der Geschichte wiederfinden. Leider bleibt dieser zentrale Konflikt weit hinter seinen Möglichkeiten zurück.

Bereits in den ersten Minuten wird deutlich, dass Schatten der Nacht weniger auf eine klassische Dramaturgie setzt als auf eine bedrückende Atmosphäre. Der 2020 mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnete Kameramann Matteo Cocco setzt gezielt Weitwinkelobjektive ein, die eine beklemmende Nähe zu den Figuren herstellen, ihnen aber zugleich eine gewisse Fremdheit verleihen. Besonders in einer frühen Szene, in der Sinan den Auftrag erhält, seinen Bruder zu überführen, unterstreicht die Bildsprache seinen inneren Zwiespalt: Der Protagonist ist in Close-ups gefangen, die Ränder verschwimmen, und er scheint trotz seiner physischen Nähe zur militärischen Elite ein Fremdkörper in dieser Welt zu sein.

Visuell beeindruckend, aber emotionslos

Doch so beeindruckend die visuelle Gestaltung auch ist – der Film bleibt seltsam distanziert. Der Konflikt zwischen den Brüdern, der das emotionale Zentrum der Geschichte bilden sollte, entfaltet nie seine volle Kraft. Ihre Auseinandersetzungen wirken oft mehr behauptet als wirklich durchdrungen. Was genau sie trennt, wird angedeutet, aber selten wirklich ergründet. Dabei wäre gerade in einem politischen Kontext wie diesem eine tiefere Auseinandersetzung mit Fragen von Loyalität und Identität essenziell gewesen. Wem schuldet ein Soldat seine Treue – dem Staat, der ihn ausbildet, oder der Familie, die ihn geprägt hat? Diese Frage wird gestellt, aber der Film bleibt eine klare Antwort schuldig.

Ein weiteres Problem liegt in der musikalischen Untermalung. Der Synthesizer-Soundtrack von Ozan Tekin neigt dazu, Dramatik zu suggerieren, die inhaltlich nicht immer gegeben ist. Szenen, die sich durch Stille und Reduktion hätten entfalten können, werden stattdessen mit klanglicher Wucht überladen, sodass der Film gelegentlich unfreiwillig prätentiös wirkt. Türker Süer beweist mit Schatten der Nacht zweifellos ein Gespür für Stil und Atmosphäre. Doch in seinem Bemühen, eine bedrückende Stimmung zu erzeugen, verliert er die emotionale Anbindung an seine Figuren. Die Geschichte eines Bruderzwists vor dem Hintergrund eines Staatsumsturzes bietet eigentlich reichlich Potenzial – doch Süer erschöpft sich in formalen Spielereien, anstatt seine Charaktere wirklich greifbar zu machen. Damit bleibt Schatten der Nacht ein visuell faszinierendes, aber erzählerisch unbefriedigendes Debüt.



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Schatten der Nacht
fazit
„Schatten der Nacht“ besticht durch seine visuell beeindruckende Inszenierung und eine beklemmende Atmosphäre, doch der emotionale Kern der Geschichte bleibt auf der Strecke. Der Konflikt der Brüder wird mehr angedeutet als wirklich durchdrungen, und der überdramatisierende Soundtrack verstärkt die Distanz zum Publikum. Türker Süers Debüt ist daher ein stilistisch ambitionierter, aber erzählerisch unausgereifter Film.
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