
Die Welt ist kaputt, das Leben auf ihr ist nahezu unmöglich geworden. Außer man hat Geld. Und so zog sich die schwerreiche Familie, bestehend aus einem Vater (Michael Shannon), einer Mutter (Tilda Swinton) und einem Sohn (George MacKay) nach dem kollektiven Kollaps unter die Erde zurück. Begleitet werden sie dabei von einer Freundin der Familie (Bronagh Gallagher), einem Arzt (Lennie James) und einem Butler (Tim McInnerny) machen sie einen unterirdischen Bunker zu ihrem neuen Luxuszuhause, wo sie alle Annehmlichkeiten genießen, die ihnen ihr Vermögen ermöglicht. Seither sind zwanzig Jahre vergangen, man hat sich arrangiert und eine Routine gefunden. Diese wird jedoch jäh unterbrochen, als sie eines Tages eine unbekannte junge Frau (Moses Ingram) finden und bei sich aufnehmen …
Ein etwas anderes Musical
Bei Musicals dürften die meisten entweder an leicht schwülstige Liebesfilme oder an Animationsfilme denken, zumindest sind das die häufigsten Varianten für Gesangsfilme. Umso bemerkenswerter ist, wie 2024 innerhalb von nur wenigen Monaten lauter Werke herausgekommen sind, die einen völlig anderen Weg eingeschlagen haben. Am meisten Aufmerksamkeit erhielt dabei sicherlich das kontroverse Thrillerdrama Emilia Pérez über einen Gangsterboss, der sich für ein Leben als Frau entscheidet, sowie die gnadenlos gefloppte Comic-Adaption Joker: Folie à Deux. Aber auch They Will Be Dust über ein älteres Paar, das in eine Selbstmordklinik fährt, und die vogelwilde Odyssee The Opera! nach der Orpheus-Sage stachen hervor. Und eben The End, bei dem manchmal das Gefühl hat, es wurde nur gedreht, um Erwartungen zu unterlaufen.
Das fängt schon damit an, dass es sich hier um einen Film von Joshua Oppenheimer handelt. Bekannt wurde der US-amerikanische Regisseur durch sein oscarnominiertes Doku-Doppel The Act of Killing (2012) und The Look of Silence (2014), die sich mit den Massakern in Indonesien befassten. Mit seinem ersten Spielfilm The End lenkt er nicht nur den Blick weg von der Vergangenheit, um stattdessen eine düstere Zukunft zu porträtieren. Er verzichtet auch auf alles, was irgendwie dokumentarisch sein könnte. Vielmehr ist alles überzogen, verdreht, ein groteskes Abbild der realen Welt. Bezeichnend dafür sind die Hobbys der Familie: Die Mutter sammelte Gemälde, Vater und Sohn bauen eine Modelleisenbahn, welche die Außenwelt rekonstruieren soll. Beides steht symbolisch dafür, wie die Realität nachgeahmt, gleichzeitig aber verwandelt wird.
Die Wahrheit im eigenen Keller
Das zeigt sich auch an den Memoiren zeigt, die der Vater schreibt und bei denen die Wahrheit kräftig umgeschrieben wird. Dass die Umweltzerstörung maßgeblich auf Unternehmen wie seines zurückgeht, will er nicht wahrhaben. Das hat natürlich einen realen Kern. Auch wenn sich Oppenheimer in The End vom Dokumentarischen verabschiedet, so ist doch sein neuestes Werk ebenfalls sehr gesellschaftskritisch. Da geht es nicht nur um den Raubbau zugunsten des Profits, sondern auch die mangelnde Verantwortungsbereitschaft. Die Menschen lügen sich, aber auch einander etwas vor. Erst durch die Begegnung mit der fremden jungen Frau werden sie mit der Außenwelt konfrontiert sowie mit den Lügen. Gerade für den Sohn wird dies zu einer Entdeckungsreise, da er die Welt da draußen nie kennengelernt hat und nur die offizielle Bunker-Version davon kennt.
Als Thema ist das spannend. Das Ganze als Musical umzusetzen, ist zudem gewagt: The End funktioniert gut als Gegenentwurf zu den formelhaften Hollywood-Beiträgen, bei denen Unternehmensberater die kreative Vision ersetzen. Und doch ist der Film, der auf dem Telluride Film Festival 2024 Weltpremiere hatte und anschließend auf mehreren anderen Festivals ein Zuhause fand, nicht das erhoffte Highlight. Das liegt zum Teil an der exzessiven Länge, zweieinhalb Stunden hätte es nun wirklich nicht gebraucht, zumal der Film inhaltlich oft auf der Stelle tritt. Hinzu kommen sehr unterschiedliche musikalische Talente. Dass George MacKay singen kann, bewies er schon vor über zehn Jahren in dem Musical Make My Heart Fly – Verliebt in Edinburgh. Auch andere können sich hören lassen. Tilda Swinton sticht hingegen immer wieder negativ hervor, ist zudem stärker komödiantisch unterwegs als andere, was dann nicht zusammenpasst. Aber auch wenn diese sonderbare Musical-Farce nicht durchgängig überzeugt und eher interessant als gut ist, eine Bereicherung für das Kino ist es ohne Zweifel.
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