
In den letzten Jahren hat es eine Reihe von Filmen gegeben, in denen ältere Menschen im Mittelpunkt stehen, die noch einmal von vorne anfangen oder sich bei einer Tätigkeit selbst verwirklichen. Da war etwa Tanz ins Leben, bei dem die Protagonistin sich einer Tanzgruppe anschließt und dort aufblüht. In Britt-Marie war hier entdeckt eine Seniorin die Fußballtrainerin in sich. Diese Filme haben oft etwas Märchenhaftes an sich. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch im realen Leben Beispiele dafür gibt. Das beweist der Dokumentarfilm Ice Aged, bei dem es um das Thema Eiskunstlauf geht. Genauer lernen wir eine Reihe von Männern und Frauen kennen, die sich im höheren Alter noch aufs Eis wagen und an einer Weltmeisterschaft für Hobby-Eiskunstlauf teilnehmen.
Der späte Traum vom Eis
Regisseurin Alexandra Sell hatte schon vorher Berührungspunkte mit diesem Thema. Genauer hatte sie 2017 in ihrem Spielfilm Die Anfängerin von einer Frau Mitte fünfzig erzählt, die noch einmal auf das Eis zurückkehrt. Als sie mit diesem Werk auf Tour ging, lernte sie Roland Suckale kennen, der seinerseits im fortgeschrittenen Alter bei der Weltmeisterschaft im Hobby-Eiskunstlaufen dabei war. Und er war einer von vielen, 600 Frauen und Männer aus 36 Nationen nahmen seinerzeit teil. Sell war fasziniert von dem, was sie dort erlebte und sah. Und so entstand aus dieser Begegnung mit Ice Aged ein ganzer Dokumentarfilm, der von sechs Teilnehmenden berichtet, die sich auf die Weltmeisterschaft vorbereiten. Dabei handelt es sich nicht um erfahrene Sportler und Sportlerinnen, die das ihr Leben lang gemacht haben, sondern Menschen, die sich spät daran ausprobierten.
Aber wie kommt man dazu, noch einmal mit siebzig die Schlittschuhe anzuziehen und auf das Eis zu wagen, in aller Öffentlichkeit? Das ist auch eine Frage, die der Film stellt. Ice Aged handelt zwar durchaus vom Sport und zeigt immer mal wieder Szenen, in denen die sechs Protagonisten und Protagonistinnen im Einsatz zu sehen sind. Vor allem interessiert er sich aber für das Leben abseits der Eisbahn. Wir bekommen Einblicke in ihr Leben, in die Vorgeschichte, die jeweiligen Lebensläufe. Da ist der besagte Roland, der schon als Jugendlicher auf dem Eis stand, dann aber jahrzehntelang anderes machte. Oder auch die Niederländerin Toos, die schon früh davon träumte, einmal Eiskunstlauf machen zu können. An Anekdoten und persönlichen Bekenntnissen mangelt es dabei nicht.
Zwischen privat und universell
Dann und wann werden diese privaten Einblicke in einen größeren Zusammenhang gestellt, der auch von gesellschaftlicher Relevanz ist. Da ist beispielsweise Nadia, die als Jugendliche aufgrund ihres Gewichts den Traum vom Eis nicht wahrmachen konnte. Ice Aged verweist dabei auf Diskriminierung und Erwartungen, die man erfüllen muss. Dazu gehören eben auch Schönheitsideale: Wer diesem nicht entspricht, der ist draußen. An anderen Stellen geht es um die Unterdrückung in einer männerdominierten Welt, Geschlechterbilder bestimmen auch in diesem Bereich das Leben, wie Elena erzählt, die in der Sowjetunion aufgewachsen ist. In solchen Momenten wird aus dem Dokumentarfilm mehr als nur eine Ansammlung von Anekdoten, es ergibt sich ein größeres Bild daraus.
Doch trotz dieser universellen Elemente, letzten Endes ist das hier doch ein Film, der von dem persönlichen Bezug lebt. Ice Aged richtet sich dann auch ein Publikum, das sich für menschliche Geschichten erzählt, die an und für sich nichts Besonderes sind und doch genau dadurch Relevanz gewinnen. Man fühlt mit diesen Menschen, hört ihnen gern dabei zu, wenn sie zurückblicken auf ihr Leben und zugleich ihre Träume teilen. Und ein bisschen inspirierend ist es natürlich auch, wenn die sechs dieses Wagnis eingehen und sich daran versuchen, sich sportlich auszudrücken. Auch wenn man selbst kein Interesse für diese Tätigkeit mitbringt und kein Bedürfnis verspürt, es diesen Leuten gleichzutun, ist es doch schön anzuschauen und eine Aufforderung, sich selbst immer wieder auszuprobieren, egal, wie alt man inzwischen ist.
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