Natatorium
© Arnór Trausti Kristínarson / Bjartsyn Films

Natatorium

Natatorium
„Natatorium“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt / Kritik

Die 18-jährige Lilja (Ilmur María Arnarsdóttir) kann ihr Glück kaum fassen – sie wird zum Vorsprechen für ein Theaterstück eingeladen. Damit sie das Vorstellungsgespräch wahrnehmen kann, reist sie mit ihrem Cello im Gepäck von ihrer Heimatinsel aus in die Stadt und kommt bei ihren Großeltern Áróra (Elín Petersdóttir) und Grímur (Valur Freyr Einarsson) unter, zu denen sie bislang kaum Kontakt hatte. In der gutbürgerlichen Stadtvilla fühlt sie sich schnell heimisch. Und das trotz der seltsamen ritualhaften Praktiken, die ihre Großmutter Áróra regelmäßig vollzieht. Und trotz ihres offenbar schwer erkrankten Onkels Kalli (Jónas Alfreð Birkisson), der unter seltsamen Bedingungen im Haus lebt und sich nicht in ärztlicher Obhut befindet. Kalli ist zwar bettlägerig, trotzdem scheint es, als sei er in seinem Zimmer faktisch eingesperrt. Und dann entdeckt Lilja im Keller des Hauses einen Swimmingpool, in dem Áróra regelmäßig badet, und kommt einem schrecklichen Geheimnis ihrer Familie auf die Spur.

Ein isländisches Kammerspiel

Natatorium – der Titel ist abgeleitet vom lateinischen Natatio für “Schwimmbad” – ist das Langfilmdebüt der isländischen Regisseurin und Drehbuchautorin Helena Stefánsdóttir, welche zuvor mit den Kurzfilmen Anna, Bon Appetit und Silent Voices auf sich aufmerksam machen konnte. Auch wenn der Film auf Island spielt, nutzt die Regisseurin kaum die beeindruckende Szenerie der Natur ihrer Heimat. Das braucht sie auch nicht, denn Natatorium setzt einen gänzlich anderen Schwerpunkt. Nach der Ankunft Liljas bei ihren Großeltern fokussiert sich der Film allein auf das Haus, welches sich bei Liljas Ankunft noch als eine Art postmodernistisches Airbnb präsentiert, in welches die junge Frau mit gutem Gefühl eincheckt, später aber nach und nach zur albtraumhaften Kulisse avanciert. Unterstützt wird dieser kammerspielartige Aufbau von der grandiosen Kameraarbeit Kerttu Hakkarainens, die den Eindruck erweckt, als Zuschauer:in bewege man sich selbst vorsichtig schleichend, ja schreckhaft durch die Flure und Zimmer der Stadtvilla.

Immer im Zentrum des Films ist auch das Thema Wasser. Es sickert nach und nach in die Handlung ein, spätestens mit der Entdeckung des Swimmingpools im Keller ist es allgegenwärtig. Eben jener Swimmingpool ist es – neben der Matriarchin –, der Natatorium etwas latent Verstörendes, eine Art schleichende, oder – um die Wasserthematik zu bemühen – stetig stärker hereintropfende, Angst vor der schlussendlichen Conclusio verleiht. Ein Swimmingpool, der zeigen mag, dass die Familie, deren Geschichte erzählt wird, letztlich gefangen ist. Gefangen in einem zwar durchsichtigen, aber dennoch tödlichen Element, dem man nur schwerlich zu entrinnen vermag.

Eine dysfunktionale Familie

Natatorium erzählt die Geschichte einer dysfunktionalen Familie. Eine Geschichte über Menschen, die Fremde, aber auch ihre Nächsten und letztlich sich selbst belügen. Es stellt sich die Frage, inwieweit man blind den Worten einer dominanten Person, einer vielleicht nur scheinbar allwissenden Anführerin zu folgen bereit ist. Und was man tut, wenn sich diese als Monster entpuppt. Áróra ist eine gnadenlose Matriarchin, selbst gefangen in ihrer eigenen pseudo-christlichen Religion, die sich immer und immer wieder um einen Kreislauf aus Taufe und Buße dreht.

Die Figuren sind insgesamt jedoch eher schwach. Elín Petersdóttir als Áróra weiß zu überzeugen und das Beste aus ihrer letzten Endes doch recht stereotypischen Figur herauszuholen. Anderen im Ensemble gelingt das weniger gut. Auch sonst hat das Drehbuch so seine Schwächen, kann nicht mit den Bildern mithalten. Diese sind dafür grandios. Es ist besonders Kameramann Kerttu Hakkarainen und Szenenbildner Snorri Freyr Hilmarsson zu verdanken, dass der Film in der Lage ist, seine Wirkung zu entfalten.



(Anzeige)

Natatorium
fazit
"Natatorium" lebt vor allem von seinen Bildern. Helena Stefánsdóttir hat mit ihrem Langfilmdebüt einen thematisch überaus interessanten Film geschaffen, der durchaus die richtige Atmosphäre zu erzeugen weiß. Leider bleiben Drehbuch und – in Teilen – auch die schauspielerische Leistung etwas hinter den hohen Erwartungen, die die grandiosen Bilder wecken, zurück.
Leserwertung0 Bewertungen
0
6
von 10