North of North – Staffel 1

Siaja (Anna Lambe) hat genug. Schon seit Längerem ist sie nicht mehr glücklich mit der Ehe mit Ting (Kelly William), jetzt hat sie Nägel mit Köpfen gemacht und ist mit ihrer Tochter Bun (Keira Cooper) zu ihrer Mutter Neevee (Maika Harper) gezogen. Einfach ist das nicht, auch wegen der komplizierten Vorgeschichte der beiden Frauen. Hinzu kommt, dass Siaja weder Job noch Geld hat, was den Neuanfang zu einer Wunschveranstaltung werden lässt. Dabei ist sie durchaus mit Eifer dabei, als sie eine Stelle bei Helen (Mary Lynn Rajskub) bekommt, die für die Stadtplanung verantwortlich ist. Sie hat auch eine Menge Ideen. Nur sind sie in der arktischen Kleinstadt Ice Cove wenig für Änderungen zu haben. Dort pflegt man die Traditionen der Inuit – und hat genaue Vorstellungen davon, wie Frau sich zu verhalten hat …

Der Alltag in einer Inuit-Kleinstadt

Diesen Monat bediente Netflix bei den Serien bislang vor allem die Fans ernster Stoffe. Da ist die US-amerikanische Krankenhausserie Pulse, die von dem dramatischen Alltag in einer Notaufnahme erzählt. Mörderisch geht es bei zwei Thrillern zu: Die südkoreanische Produktion Karma handelt von mehreren Menschen, die der Zufall mit tödlichen Folgen zusammenbringt, der spanische Titel Der Gärtner handelt von einem Mutter-Sohn-Duo, das hinter der Fassade einer Gärtnerei Auftragsmorde begeht. Wem es danach nach etwas lebensbejahenderen verlangt, sollte einmal einen Blick auf North of North werfen. Dieses Mal reisen wir nach Kanada, wo das Publikum einen Mix aus ungewöhnlichen und alltäglichen Themen erwartet.

Ungewöhnlich, zumindest für hiesige Zuschauer und Zuschauerinnen, ist der folkloristische Teil. So dürften nur wenige mit der Kultur der Inuit vertraut sein. Wobei die Serie diese Elemente nicht zu sehr in den Mittelpunkt stellt. Vieles wird eher beiläufig erzählt, so als wäre man ganz selbstverständlich dabei und bräuchte keine Erläuterung. Das wird manchen vielleicht zu anstrengend sein, wenn die üblichen Vorstellungsrunden fehlen. Aber es ist auch eine Qualität von North of North, wie das alles organisch in die Handlung eingebaut wurde. Nach und nach tauchen wir tiefer ein, lernen die Menschen kennen, erfahren die Geschichten. Dabei ist auch viel Universelles dabei. Ein großer Punkt ist die Darstellung eines Kleinstadtlebens, dessen Elemente einem zum Teil doch sehr bekannt vorkommen dürfen. Wenn sich beispielsweise Siaja mit Erwartungen herumplagt, die sie zu erfüllen hat, könnte das auch in einem beliebigen deutschen Dorf spielen.

Zwischen Humor und Ernst

Vieles davon wird auf humorvolle Weise erzählt. Tatsächlich wird North of North offiziell auch als Sitcom beworben. In der Hinsicht sollte man aber nicht zu viel erwarten. Die Serie lebt häufiger von den skurrilen Figuren als tatsächlichen Gags. Das hier ist keine dieser Serien, bei denen im Sekundentakt irgendeine Pointe oder ein Onliner rausgehauen wird, auch wenn es natürlich komische Momente gibt. Es ist auch nicht alles lustig, was hier erzählt wird. Soll es gar nicht sein. So kommen hier eine Reihe ernster Themen vor, darunter Alkoholismus oder das dunkle Kapitel, als Kinder der Inuit weggenommen wurden, damit sie „weiß“ erzogen werden konnten. Aber auch diese Punkte werden eher beiläufig eingebaut und ohne den dramatischen Holzhammer.

Das ist alles ziemlich sympathisch und schafft auch eine Menge Identifikationsfläche. Hinzu kommen die besagten folkloristischen Elemente. Dass die Kleidung von heimischen Künstlern und Künstlerinnen gefertigt wurde und tatsächlich die Inuit-Community einbezogen wurde, tut der Serie gut und schafft ein ganz eigenes Flair, ohne dabei die Exotenkarte zu zücken. Auch wenn North of North dann und wann ein bisschen albern wird, ist die kanadische Serie daher eine willkommene Ergänzung im Programm des Streamingdiensts. Diese schafft es auch, einen wieder mit etwas mehr Zuversicht in den Tag starten zu lassen, obwohl – oder weil – sie sich nicht ins Märchenhafte rettet. In dieser Serie kommen Leute zusammen und helfen einander, können sich gleichzeitig auf die Nerven gehen, mal Erfolg haben, mal scheitern. So wie im wahren Leben auch, ob nun im höchsten Norden oder woanders.