(„Mary & Max“ directed by Adam Elliot, 2009)
Australien hat viele große Stars und Sternchen hervorgebracht, aber wenn es darum geht wirklich gute, neuzeitliche Filme aus dem Land der Kängurus aufzuzählen, fällt es mir immer recht schwer. Neben dem langweiligen Australia, schwebt mir noch der relativ interessante The Proposition vor Augen, das war’s dann aber auch schon. Mit Mary & Max kommt jetzt eine gänzlich, andere Art von Film in die deutschen Kinos. Nachdem erst Der fantastische Mr. Fox bewies das Stop-Motion noch lange nicht ausgedient hat, legt Adam Elliot einen drauf, denn seine Animationen gefallen um Längen besser als die des charmanten Fuchses.
Mary Daisy Dinkle (im Original gesprochen von Toni Collette) ist nicht gerade das glücklichste Mädchen auf Erden. In der Schule wird sie gehänselt, ihre Mutter (Renée Geyer) hängt an der Flasche, ihr Vater geht einem zermürbenden und sinnlosen Job in einer Fabrik nach. Freunde hat sie keine, ihre Freizeit verbringt sie in einem heruntergekommen Haus irgendwo in einem Kaff in Australien. Zeitgleich lernen wir Max Jerry Horrovitz (Philip Seymour Hoffman) kennen. Im Gegensatz zu Mary ist er bereits Erwachsen, doch auch er führt ein einsames Leben in einer tristen New Yorker Wohnung. Der jüdischstämmige Mann kommt mit seiner Umwelt und den Mitmenschen ganz und gar nicht klar was ihn immer wieder emotionale Zusammenbrüche bereitet, die er in der Regel mit einer Ladung Schokoladenhotdogs ertränkt. Das Rezept hat er übrigens selbst erfunden. Es liegt auf der Hand, dass auch Max keine Freunde hat, sein Verhalten in der Öffentlichkeit könnte man sogar als asozial bezeichnen.
Als Mary die einfache Idee hat über dem Postweg einen Freund zu finden, landet sie zufällig bei Max. Nachdem sich die beiden einige Nachrichten ausgetauscht haben, beginnt trotz der geographischen Distanz eine wunderbare (Brief)freundschaft. Mary, die ja noch ein Kind ist, hat natürlich viele Fragen, die ihre benebelte Mutter entweder gar nicht oder nur ungenügend beantwortet. Schlüpfen Babys wirklich aus Bierkrügen? Und schrumpfen eigentlich Schafe wenn es regnet? Mit Max bekommt sie einen Freund der nach bestem Wissen und Gewissen ihre Fragen zu beantworten versucht. Gleichzeitig nutzt er aber die Schreiberei um seine persönliche Geschichte und seine Auffassung vom Leben kundzutun.
Mary & Max ist ein wunderbar skurriles Märchen geworden, das nicht nur prächtig unterhält sondern uns auch einen Spiegel vor Augen hält. Es geht dabei aber nicht nur um eine Reflexion unserer modernen Gesellschaft, sondern vielmehr um die Infragestellung eines kaum mehr vorhandenen Wertesystems. Max, der streng jüdisch erzogen wurde und sich, höchstwahrscheinlich aufgrund persönlicher Enttäuschungen, mittlerweile selbst als Atheist bezeichnet, betrachtet die Menschen meist von einem ganz anderen Standpunkt aus. Er ist wenn man so will ein unverbesserlicher Pessimist aber zugleich ein unverstandener Philosoph, der bei unserer Auffassung von Normalität zum Geisteskranken deklariert wird.
Technisch gesehen ist der Film wirklich liebevoll animiert. Einzig wenn die Figuren sprechen, wirkt es etwas albern. Da aber überwiegend ein Erzähler (Barry Humphries) aus dem Off die Geschichte kommentiert, wird dieses Problem meistens elegant umgangen. Ein weiteres Merkmal ist der Einsatz von ganz bestimmten Farben. So sind die Szenen im Big Apple gänzlich in Grau gehalten. Nur einige wenige Elemente, wie zum Beispiel Mary wenn sie Max besucht, sind farbig. Dagegen werden die Australienparts ganz in Ocker gehalten, was zwar mehr Wärme vermittelt aber in Kombination mit den gezeigten Bildern Einöde und Zerfall bzw. Verwesung ausstrahlt.
Auch wenn Mary & Max die Ernsthaftigkeit über die gesamten 92 Minuten Laufzeit kaum einmal ablegt, ist der Film im Grunde aber eine (teils schwarzhumorige) Komödie, der sein Publikum sehr oft zum Lachen bringt. Man sollte sich aber nicht von der Knuddeligkeit der Knetmassefiguren im Wallace & Gromit Stil in die Irre führen lassen. Aufgrund der angesprochenen Thematiken ist Adam Eliotts Streifen eindeutig an ein reiferes Publikum adressiert. Erwähnenswert ist übrigens noch die Sprechrolle von Eric Bana, der einen aberwitzigen Griechen mit Segelohren spricht.
Insgesamt ist Mary & Max also eine erfrischende Abwechslung im unübersichtlichen Filmdschungel, deshalb sollte man ihm unbedingt eine Chance geben. Bewegend, erheiternd aber vor allem ehrlich, so würde ich ihn mit wenig Worten zusammenfassen. Tolles Animationskino das nicht umsonst den Gläsernen Bären auf der Berlinale 2009 erhalten hat.
Passen Knetfiguren, schwarzer Humor, Lebensphilosphie und ernste Themen über die soziale Welt zusammen? Eindeutig, dies ist der Beweis.
Adam Elliot hat mit einem 50-köpfigen Team und einem Zeitaufwand von fünf Jahren diesen bereits mehrfach preisgekrönten Independent-Film gebastelt und gedreht und serviert uns mithilfe der beiden Antihelden Mary und Max diese berührende Story:
Wir schreiben das Jahr 1976, die 8-jährige Mary wohnt in Australien, ist Tochter einer Alkoholikerin und eines Fließbandarbeiters in einer Teebeutelfabrik und ihre einzigen Freunde bestehen aus Muscheln, Nüssen, Wollbommeln und heimlich entwendeten Hühnerknochen. Ihre Eltern, die entweder den ganzen Tag Sherry in sich hineinkippen oder tote Vögel präparieren, geben ihr nicht gerade das Gefühl von Familie, nein, sie geben sogar zu, sie sei ein Unfall gewesen.
Währenddessen sitzt ca. 16.000 Km entfernt der 352 Pfund schwere Max vor seinem Fernseher und kann nicht einschlafen. Er leidet am Asperger-Syndrom, nimmt leidenschaftlich an der New Yorker-Lotterie teil und ist stolzer Erfinder des Schokoladen-Hotdogs, bestehend aus einem Brötchen und einem Schokoladenriegel. Seine einzigen Freunde sind ein studierender Geist, sein mittlerweile neunter Goldfisch und fünf andere Haustiere.
Während Marys Mutter sich in der Post ein Paket Briefumschläge „ausleiht“, fischt sich das junge Mädchen per Zufall eine Adresse aus dem New Yorker Telefonbuch und schreibt ihm einen Brief, vorne weg die Frage, wo in Amerika die Babys herkommen. Wie in Australien aus dem Bier oder doch aus Cola-Dosen? Oder schrumpfen Schafe, wenn es regnet? Fortan entwickelt sich eine wunderbare Brieffreundschaft, wobei Mary ihm Fragen über die Welt stellt und Max Geschichten aus seinem Leben preisgibt sowie versucht, ihr seine Ansichten auf philosophischem Wege zu erklären.
Die verwendeten Farben passen sehr gut in die Situationen und Umstände, wenn der Fokus auf New York liegt, wird alles im tristen und deprimierenden Grau gehalten, passend zu der Seele des über 40 Jahre alten Mannes, der regelmäßig zum Psychiater geht und nach zahllosen Enttäuschungen Atheist geworden ist. Im Gegensatz dazu ist die australische Welt von Mary in Beige-Tönen gehalten worden, was auch nicht gerade lebensfreudig wirkt, aber dennoch zum jungen Mädchen passt, da ihr Leben zwar nicht gerade erfüllt ist, sie die Welt aber deutlich optimistischer sieht. Denn wie im Volksmund ist sie ein Fleck Leben in Max‘ eintönigen Leben.
Auf den ersten Blick erübrigt sich dem Zuschauer das Bild eines niedlich animierten Films für die Jüngeren unter uns, die wahre Zielgruppe sind jedoch trotz einer empfohlenen Altersfreigabe für Zuschauer über 12 Jahren die Erwachsenen, denn hier wird u.a. die Unterscheidung zwischen wahren Erziehungswerten und schwarzem Humor gefordert (während einer Weight-Wachters Sitzung versucht der Lehrer den Übergewichtigen klar zu machen, Gott hasse fette Menschen).Alles in allem fasziniert der Film mit einer Mischung aus bitterbösen Witzen, melodramatische Situation, berührende Monologe, vielen Gefühlen, den süß animierten Knetfiguren und der Nachricht, das Freundschaft nicht selbstverständlich und die Welt sehr verwunderlich sein kann.
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